Wie bereits im Vorjahr stand am ersten Spieltag für unsere Bundesliga-Mannschaft das Duell mit dem amtierenden Deutschen Meister auf dem Programm. Und ebenso wie in der letzten Saison gab es dabei eine knappe, aber verdiente Niederlage. Gegen das Top Team aus Baden Baden kam es beim 3:5 zu der kuriosen Situation, dass die Weiß-Spieler gerade einmal vier Remisen erreichten, während alle vollen Zähler mit Schwarz erzielt wurden. Dabei mussten sich Artur Jussupov, Alexander Naumann und Christian Gabriel gegen ihre Großmeister-Kollegen Viswanathan Anand, Sergej Movsesian und Rustem Dautov geschlagen geben. Den Solinger Ehrentreffer erzielte Sandipan Chanda gegen den Dänen Peter Heine Nielsen.
Dabei stand von Beginn an fest, dass ein Punktgewinn gegen das »Dream Team« von Teamchef Sven Noppes einer absoluten Sensation gleich käme, selbst wenn frühzeitig bekannt war, dass die Badener auf Magnus Carlsen, Etienne Bacrot und Pentala Harikrishna (Cap D´Agde) sowie Francisco Vallejo (Calvia) wegen anderweitiger Turnierverpflichtungen verzichten mussten. Denn auf unserer Seite fehlte mit den zeitgleich in Hoogeveen stark auftrumpfenden Holländern Jan Werle, Jan Smeets und Sipke Ernst, ein aufgrund der bedeutend dünneren Personaldecke viel schwerer zu ersetzendes Trio.
Somit war Baden Baden, das zudem noch ohne Europameister Nisipeanu antrat, im Elo-Schnitt um über 100 Punkte überlegen. Dennoch begann der Kampf durchaus verheißungsvoll: Daniel Stellwagen wandelte in einer Anti-Sweschnikov-Struktur mit Lc4 das dort nicht selten vorkommende Motiv des Läuferopfers auf h6 ein wenig ab und brachte es an einer bisher unerprobten Stelle. Der stets kreative Alexej Shirov (2720) verfiel in tiefes Brüten, konnte aber keinen seriösen Weg finden, der Zugwiederholung auszuweichen und fügte sich in die Punkteteilung.
Dieses Ergebnis gab es fast zeitgleich auch am 8. Brett, wo Robert Zysk in einem Leningrader-Holländer keine großen Probleme hatte, mit Schwarz gegen seinen langjährigen Bayern-Teamkollegen Philipp Schlosser (2554) auszugleichen. Das nächste Unentschieden ging auf das Konto von Michael Hoffmann und fiel in die Rubrik »Verpasste Chancen«. Denn der polnische Vorkämpfer Michail Krasenkov (2647), der auch gegen Michaels Le7-Aufbau im Semi-Slaven die Shabalov-Idee 7.g4 angewandt hatte, war offenbar von Daniel Stellwagen inspiriert worden und opferte gegen Michaels Rochade-Stellung einen Läufer auf h6. Jedoch hatte er eine hübsche Riposte mit Qualitätsgegenopfer von Michael übersehen und musste schließlich in ein Endspiel mit Turm gegen zwei Figuren abwickeln, in dem Michael leider nicht den Gewinnplan fand und seinen Kontrahenten noch in ein remises Turmendspiel entwischen ließ.
Der deutsche Meister zeigte sich – wie es einem Spitzenteam entspricht – bei der Ausnutzung seiner Chancen bedeutend konsequenter: Am Spitzenbrett überspielte Visvanathan Anand (2779) mit Schwarz seinen langjährigen Sekundanten Artur Jussupov in einem bei oberflächlicher Betrachtung völlig ausgeglichen erscheinenden Endspiel aus der Moskauer Variante des Halbslaven und stellte dabei wieder einmal seine Extraklasse unter Beweis. Kurz nach der Zeitkontrolle fiel dann die Entscheidung durch die Niederlage von Christian Gabriel. Dieser hatte gegen Rustem Dautov (2577) einen rabenschwarzen Tag erwischt und hatte mit seinem königsindischen Angriff gegen dessen Caro-Kann-Verteidigung eine sehr passive Aufstellung erreicht, in der die weiße Figurenkoordination immer schlimmer wurde, bevor ein hübscher taktischer Schlag die sofortige Aufgabe bei fast noch vollem Brett erforderte.
Beim Stande von 1½:3½ kämpften die verbliebenen drei Solinger fortan gegen ihre Weltklasse-Gegner nur noch um ein achtbares Ergebnis. Leider blieb dabei diesmal »Mr. Zuverlässig« Alexander Naumann erfolglos. Dieser hatte gegen den slovakischen Spitzenspieler Sergej Movsesian (2637) in einem g3-Königsinder ungewöhnlich viel Bedenkzeit verbraucht und musste dies später in Zeitnot büßen, als der trickreiche »Big Mov« so lange in den Felderschwächen der weißen Stellung bohrte, bis schließlich ein Bauer abhanden kam, so dass das Leichtfigurenendspiel trotz hartnäckigem Widerstand von Alexander nicht mehr zu halten war.
Dafür wurde Predrag Nikolic für seine fast heroische Verteidigungsleistung gegen den letztjährigen WM-Dritten Peter Svidler (2750) mit einem nicht mehr erwarteten halben Zähler belohnt. In einem scharfen Saitzew-Spanier hatte der Russe mit seinem gewohnt kraftvollen weißen Spiel den schwarzen König arg bedrängt und schließlich auch einen Bauern gewonnen. Doch der schwarze Monarch war offenbar für größere Taten vorherbestimmt und trat einen langen Marsch von g8 bis nach d2 (!) an, den er trotz der Präsenz mehrerer Schwerfiguren überstand und so für Predrag eine vermeintliche Verluststellung rettete.
Noch erfolgreicher gestaltete sich der Tag für Sandipan Chanda, der nach zwei schwächeren Spielzeiten hochmotiviert in den ersten Bundesligakampf mit indischer Beteiligung auf beiden Seiten ging. Gegen den dänischen »Theorie-Papst« Peter Heine Nielsen (2640) wählte er taktisch geschickt ein älteres Abspiel des klassischen Dameninders, in dem er bequem ausgleichen konnte. Der Däne schraubte darauf das Risiko zu hoch und zerstörte die schwarze Bauernstruktur auf Kosten seiner eigenen Königsstellung, gegen die Sandipan eine gefährliche Initiative entwickeln konnte. So gewann er in einem komplizierten Endspiel mit allen sechs Schwerfiguren einen Bauern, den er mit starker Technik in ein Turmendspiel hinüberretten und dort zum vierten Schwarz-Sieg des Tages verwandeln konnte. Somit stand das ehrenvolle 3:5 fest, das zwar keine Punkte im Anbstiegskampf bringt, aber der Mannschaft wertvolles Selbstvertrauen für die zahlreichen kommenden Vier-Punkte-Spiele geben sollte.