Bundesliga-Teamchef Herbert Scheidt war am Sonntag Abend glänzender Laune: Nach einem tollen Wochenende hatten seine Jungs nicht erwartete vier Zähler gegen die starken Ruhrgebiets-Mannschaften eingefahren und damit für eine deutliche Entspannung in der Tabellensituation gesorgt. Zudem habe das Team beim 5½:2½-Erfolg über den SV Mülheim Nord auch richtig stark gespielt. In der Tat bot die Mannschaft nach dem nervenaufreibenden »Glücksspiel« vom Vortag gegen die in Bestbesetzung aufgelaufenen Mülheimer eine sehr konzentrierte Mannschaftsleistung ohne Niederlage, bei denen die stark herausgespielten Siege von Alexander Naumann und Daniel Stellwagen herausragten, während Jan Smeets bei seinem vollen Zähler von einem Blackout Daniel Hausraths profitierte.
Mit 2/2 erfolgreichster Spieler des
Wochendendes: Alexander Naumann
Der Auftakt des Kampfes verlief dabei sonntags-typisch eher ruhiger, was nach den Aufregungen des Vortages aber auch niemand kritisieren konnte. Der Protagonist des Vortages, Sipke Ernst, trennte sich frühzeitig von GM Gerhard Schebler (2535), Remis. Dabei profitierte Sipke in eher verdächtiger Position mit den schwarzen Steinen sicherlich davon, dass Gerd in dieser Saison bisher das Pech an den Fingern klebte und es ihm deshalb trotz der besseren Position an Selbstvertrauen mangelte. Andere Motive hatte die Punkteteilung von GM Michail Saltaev (2522) gegen Michael Hoffmann. Beide hatten das höchst seltene Kunststück fertig gebracht, in einem Najdorf-Sizilianer bereits nach acht Zügen eine Stellung zu kreieren, die beiden unbekannt war, so dass in den dort entstandenen irrationalen Strukturen niemand genau wusste, wie die Position zu bewerten war, weshalb die Wahrheitsfindung in den Analyseraum verlegt wurde. Bedeutend normaler der Partieverlauf zwischen Jan Werle und GM Felix Levin (2513), bei dem sich der mikroskopische weiße Vorteil in einer Igel-Struktur schnell verflüchtigte, so dass auch hier bald Remis vereinbart wurde. Interessant verlief die Begegnung am Spitzenbrett, wo Artur Jussupow gegen den Ex-Europameister Pavel Tregubov (2596) eine Mode-Variante im Fianchetto-System des Wolga-Gambits auf dem Brett hatte. Als sich die Kiebitze gerade darum sorgten, dass Schwarz in Vorteil kommen könnte, lieferte Artur mit einem hübschen Läuferopfer nebst anschließendem Dauerschach eine verblüffende Lösung des Stellungsproblems.
Mit dem Zwischenstand von 2:2 ging es dann in die Zeitnotphase, in der alles zu unseren Gunsten verlief: Dabei war das Glück am 7. Brett auf unserer Seite, als IM Daniel Hausrath (2529), dessen beschleunigter Drache eine ungewohnt scharfe Position erzeugt hatte, mit Schwarz gegen Jan Smeets nach einem kurzzeitigen Blackout einen hübschen taktischen Schlag übersah. Statt des logischen Endes der interessanten Partie durch Dauerschach konnte Jan spektakulär die Dame opfern und die Partie für sich entscheiden. Damit standen die Zeichen spätestens auf Sieg, als GM Konstantin Landa (2570) seine Gewinnversuche in einer mikroskopisch besseren Position gegen die genaue Verteidigung von Predrag Nikolic einstellte.
Daniel Stellwagen
Am vierten Brett hatte sich Alexander Naumann nämlich inzwischen ein gewonnenes Endspiel gegen GM Daniel Fridman (2604) erarbeitet. Der glückliche Sieg vom Vortag schien den Bann in dieser Saison gebrochen zu haben. So agierte Alex mit den schwarzen Steinen unternehmungslustig, kreativ und baute seine gute Stellung sukzessive in eine Gewinnposition aus, die er dann mit guter Technik verwertete. Lohn war ein souveräner Schwarz-Sieg, mit dem er en passant endlich einmal wieder einen 2600er-Skalp erbeutete und den Siegtreffer zum 4½:2½ erzielte. Der Schlussakkord gebührte dann Daniel Stellwagen, der am Nebenbrett gegen GM Vitalij Golod (2582) eine positionelle Musterpartie gegen das spanische Breyer-System seines Kontrahenten zelebrierte. Dabei blieb er selbst in der Zeitnotphase wachsam, unterband die schwarzen Rettungschancen und schloss die Partie mit einem temporären Figurenopfer stilecht zum in dieser Höhe völlig unerwarteten 5½:2½-Erfolg ab.
Damit kann in dieser Saison erstmalig ein positives Punktekonto verzeichnet werden, mit dem man auch in dieser verrückten Spielzeit trotz der extrem ausgeglichenen Liga gut überwintern kann. Michael Hoffmann hat zumindest nach der starken Vorstellung gegen Mülheim einen Uefa-Cup-Platz als neues Saisonziel ausgegeben. Wenn die Form und das Glück dieses Wochenendes in der zweiten Saisonhälfte konserviert werden können, sollte auch dies möglich sein.