Der Solinger Bundesliga-Teamchef Herbert Scheidt strahlte über das ganze Gesicht: Dank eines Sieges von Jan Smeets in der letzten laufenden Partie über GM Oleg Korneev (2657) zum 4½:3½ fuhr sein Team (inklusive eines Pokalerfolges) nicht nur den dritten Erfolg gegen den Erzrivalen SG Porz in Folge ein, sondern der erste “Doppelpack” an einem Wochenende sicherte in diesem Kalenderjahr mit 17:13 Zählern auch noch den 6. Tabellenplatz, was in dieser Saison mit der unglaublich starken und ausgeglichenen Liga-Besetzung als großer Erfolg und vor allem auch Bestätigung des vierten Platzes aus dem Vorjahr zu werten ist.
Vorausgegangen war ein unglaublich spannender Kampf, dessen Finale nicht nur die Zuschauer vor Ort in seinen Bann zog, sondern auch die in Baden-Baden mitzitternde Sensationsmannschaft des Hamburger SK äußerst erfreute. Die Domstädter hatten – vermutlich auch wegen des günstigen Termins unmittelbar vor der Europameisterschaft – für das letzte Wochenende noch einmal eine extrem starke Aufstellung mobilisiert, um zumindest die Vize-Meisterschaft abzusichern, und waren nominell im Duell der beiden Bundesliga-Traditionsmannschaften natürlich favorisiert.
Dennoch begann der Kampf fast schon traditionell mit einigen kürzeren Punkteteilungen: Alexander Naumann probierte es gegen die holländische Schach-Legende GM Jan Timman (2565) mit einer modernen Schottisch-Variante, in der nach frühem Df3 schnell die Damen getauscht werden. Die mikroskopischen weißen Vorteile verflüchtigten sich jedoch bald zur Punkteteilung. Ähnlich unspektakulär verlief die Partie von Predrag Nikolic, gegen den Christopher Lutz mit exaktem Spiel in einem Dameninder sehr schnell Ausgleich erzielte, so dass auch hier rasch Frieden geschlossen wurde.
Dagegen war eines der beiden niederländischen Duelle dieses Kampfes von Beginn an von zahlreichen Zuschauern umlagert: Daniel Stellwagen brachte hier mit den schwarzen Steinen gegen GM Loek van Wely (2676) ausgerechnet das Botwinnik-System im Halbslaven aufs Brett. Dies war vor allem deshalb pikant, da »King Loek« erst vor kurzem eine DVD für ChessBase über diese Eröffnung herausgegeben hat und zudem vor zwei Jahren den holländischen Talenten bei einem Lehrgang empfohlen hatte, doch das Botwinnik-System in ihr Repertoire aufzunehmen … Daniel spielte eine als minderwertig geltende Nebenvariante mit frühem Da5, doch in dieser Saison klappt bei ihm einfach alles: Der überraschte Van Wely fand trotz langem Brüten kein Rezept und war froh, ins Dauerschach abwickeln zu können, während Stellwagen für die gesamte Partie 10 Minuten Bedenkzeit verbrauchte!
Auch das nächste Unentschieden war völlig in unserem Sinne: Michael Hoffmann begann sich als Weißer in einer Caro-Kann-Verteidigung mit 2.c4 langsam etwas unwohl zu fühlen, so dass er die Offerte vom russischen Theorie-Hai GM Konstantin Sakaew (2641) gerne annahm. Kurz vor der Zeitkontrolle folgten dann die nächsten Remisschlüsse: Unglücksrabe Artur Jussupow gelang zumindest zum Saisonabschluss eine versöhnliche Partie, mit der er absolut zufrieden war. Gegen seinen langjährigen Weggefährten auf diversen Weltklasse-Turnieren in den 80er Jahren, GM Rafael Waganjan (2587), hielt Artur dem ständigen positionellen Druckspiel stand, so dass der Armenier trotz eines Mehrbauern dank der besseren schwarzen Leichtfiguren keine Fortschritte erzielen und der Punkteteilung zustimmen musste. Schließlich endete auch die brisante Paarung zwischen Sipke Ernst und GM Erik van den Doel (2578) Remis. In der vergangenen Saison hatte Sipke mit einem spektakulären Kurzsieg über van den Doel den Solinger Sensationssieg eingeleitet. Dafür hatte der Porzer Top-Scorer bei der Qualifikation für die holländische Meisterschaft seinen langjährigen Angstgegner endlich bezwingen können. Diesmal verlief die Partie überraschend ruhig: Nach einer sehr ruhigen Reti-Eröffnung tauschte sich bald der gesamte Damenflügel weg, so dass die Partie schließlich in ein ungleichfarbiges Läuferendspiel mit korrektem Ausgang mündete.
Somit stand es zur Zeitkontrolle 3:3 und die Last lag nun auf unseren beiden holländischen Jans, die sich jeweils mit den schwarzen Steinen den beiden Spitzengroßmeistern Alexander Graf (2601) und Oleg Korneev (2657) erwehren musste. Dabei musste Jan Werle gegen Graf eine typische Nimzo-Indisch-Stellung gegen das weiße Läuferpaar verteidigen, was ihm trotz zwischenzeitlich großem Zeitnachteil sehr gut gelang. Als auch bei Graf die Bedenkzeit langsam knapp wurde, schlichen sich auch hier technische Fehler ein, so dass Werle schließlich nach voller Spielzeit mit nur Läufer + Springer gegen das Läuferpaar ohne Bauern die aufgrund seiner starken Defensivleistung verdiente Punkteteilung gelang. Damit war die Bühne frei für Jan Smeets, der sich in der Eröffnung mit der modernen spanischen Neo-Archangelsk-Variante mit frühem Lc5 verteidigt und auch ein Remisangebot von Korneev abgelehnt hatte. Als Belohnung für den forschen und engagierten Vortrag landete er nach langwierigem Positionskampf schließlich in einem Leichtfigurenendspiel, in dem sein Springer gegenüber dem weißen Läufer Vorteile aufwies, auch wenn die Gewinnwahrscheinlichkeit sehr gering erschien. Doch mit nur noch wenig Restbedenkzeit auf beiden Seiten schlug Smeets’ große Stunde und in klassischem »Bullet«-Stil blitzte er den Russen in weit über 100 Zügen nieder und krönte sich mit diesem »Big Point« endgültig zum Spieler des Wochenendes.
Vielleicht profitierte er dabei auch von der moralischen Unterstützung aus Baden-Baden, die unsere beiden Holländer seit der Zeitkontrolle begleitete. Die sympathischen Hamburger hatten ihrer sensationellen Saison noch ein – sogar unglückliches – 4:4 gegen Meister Baden-Baden hinzugefügt und brauchten nun Solinger Unterstützung zur Sicherung der Vizemeisterschaft, die durch »Anfeuerung« über den Live-Ticker eingefordert wurde. Folglich war nach der telefonischen Ergebnisdurchgabe von Alexander Naumann nicht nur auf Solinger, sondern auch auf Hamburger Seite der Jubel groß.
Deshalb sei auf diesem Wege noch einmal offiziell dem OSC Baden-Baden um Teamchef Sven Noppes zur souveränen und hochverdienten Meisterschaft, vor allem aber unseren Freunden vom Hamburger SK mit ihrer homogenen Truppe um »Neu-Chefin« Evi Zickelbein und »Mr. Bundesliga« Christian Zickelbein zu einer großartigen Spielzeit und der Vize-Meisterschaft gratuliert!
Auch in der Klingenstadt herrscht nach dem tollen Finale völlige Zufriedenheit mit dieser Saison. Die nun schon seit einigen Jahren gewachsene Mannschaft soll mit einigen Umstellungen in der Brettreihenfolge und vielleicht kleinen personellen Ergänzungen auch im nächsten Jahr an den Start gehen, um die stabilen Platzierungen der letzten beiden Jahre fortführen zu können.