Wenn wir auch vor dem Match gegen Baden Ooos auf dem zweiten Platz standen, so war dennoch klar, daß wir gegen die fast in Bestbesetzung antretenden Badener nur Außenseiterchancen haben sollten. Aber wie heißt es so schön: Die Chancen, die man nicht hat, soll man nutzen…
Der Kampf ließ sich zunächst gar nicht so schlecht an, konnte doch Romain Edouard, der bei Beurteilung seines Cordon Bleu beim Italiener vor der Partie seinen Sprachschatz deutlich erweitert hatte, :-) eine recht kritische Schwarzpartie gegen Philipp Schlosser (2567) zum Unentschieden führen:
Der Führer der weißen Steine wählte mit 7. Lb3 in einem Angenommenen Damengambit eine moderne Bekämpfungsweise, die auch von Romain mit 7… b5 postwendend prinzipiell beantwortet wurde. Schon bald entstand eine recht scharfe Mittelspielstellung. Dabei wäre 10. Sbd2 durchaus eine Alternative zur Partie mit der möglichen Folge 10… Lb7 11. e5 Sfd7 12. Sc4 Sc6 13. Lg5 Dc7 14. Tc1 und etwas Vorteil für Weiß.
Spätestens mit dem sehr optimistischen 15… Le4 (wo bleibt die schwarze Entwicklung?) scheint mir unser »Benjamin« den Bogen jedoch zu überspannen. Besser geschah hier 15… Sd5, wenn sich der Schwarze auch nach 16. De1 und baldigem f5 mit einiger Initiative konfrontiert sieht.
Jedenfalls konnte Weiß taktisch mit 16. Se6:! fe6: 17. Se4: Sc4: 18. Lc5: +- bereits beachtlichen Vorteil erlangen.
Die nächste gute Gelegenheit ließ Weiß nach 20… Se6 verstreichen: Hier hätte das sofortige 21. Sd6+ Ld6: 22. ed6: Tb8 23. Ta5 bzw. 22… f6?! 23. d7+ Ke7 24. Lb6 zu einer freudlosen Situation geführt. Eine letzte Möglichkeit, noch Vorteil zu bewahren, ließ Weiß schließlich mit 28. (29.) Te4 vorübergehen: Falls darauf Tc6 geschieht, gewinnt das trickreiche 29. Lc7! Sc7: 30. Te7+ Kc8 31. d7+. Besser geschieht daher 28… Tbb8 29. b4 Tc6 30. Lc5 +=/+-. Nach 29… Tc6 trudelt dagegen die Partie bereits in den Remishafen ein.
Zur Überraschung vieler wählte Peter Svidler (2727) gegen Predrag Nikolics Französisch das gediegene 3. Sd2. Sein Zug 9. Te1 ist eine offensichtliche Verbesserung einer Partie Jens gegen Nikolic aus dem Jahre 2005. Im weiteren Verlauf paßt nach 10… Sd5: jedenfalls die Einschaltung der Züge a3 und a5 sehr gut ins weiße Konzept. Die Stellung nach 12. c4 dürfte für Schwarz bereits unangenehm zu spielen sein. Vielleicht kam aber das »unmenschliche«, positionell häßliche 13… Se4: 14. Le4: f5 15. Lc6: bc6: 16. Lf4 Db6 17. Tad1 c5 += in Frage, um der Partie noch einmal eine neue Richtung zu geben. Wahrscheinlich hätte Weiß diese Möglichkeit besser mit 13. Sc3 eliminieren sollen.
Der Zug 18… Se5 zeigt, wie groß die Probleme des Schwarzen, die aus Schwächen auf beiden Flügeln resultieren, bereits sind. Nach 23. Te3 ist die Partie dann endgültig gelaufen.
Sergey Movsesian (2732) wählt gegen Alexander Naumann in der Russischen Verteidigung den populärer gewordenen Aufbau mit 3. d4 und 5. de5: (vgl. auch die Partie Berndt gegen Ernst an früherer Stelle). Mit 11. Tb1 weicht Weiß wiederum von einer Partie Naumann gegen Teske (2007) ab! Der Zug Tb1 ist an dieser Stelle nicht zwingend erforderlich. Was lief im Mittelspiel falsch? Ich denke, Ursache der späteren schwarzen Probleme ist der Randspringer auf a5. Daher liegt es nahe, 13… Sa5 durch Kb8 zu ersetzen und die schwarze Stellung scheint in Ordnung zu sein.
In der Analyse stieß schließlich der schwarze Plan mit 19… Thf8 und f6 auf Kritik, da dem Weißen durch Beherrschen der e-Linie und der besseren Leichtfigur die Öffnung der Stellung zugute kommt. Besser war hier 19… h6 20. Tad1 g5 21. De3 Thg8 und Gegenspiel am Königsflügel.
Endgültig in Schwierigkeiten kommt Schwarz aber m. E. erst durch 25… Tfd6, was Schwarz der Möglichkeit beraubt, die einzige Schwäche im weißen Lager, den Ba4, mit Tf4 aufs Korn zu nehmen. Nach dem besseren 25… c6 26. Ld3 Th8 27. Tb1 Ka7 28. Kf2 Thf8+ = dürfte Schwarz noch über einige Verteidigungsressourcen verfügen. In der Partie dagegen dürfte die schwarze Stellung nach 29. Tee7 nicht mehr zu halten sein. Auch hier war also zu sehen, daß man sich gegen 2700-er- Spieler nicht viele Ungenauigkeiten erlauben darf.
In der Partie Peter-Heine Nielsen (2662) gegen Sipke Ernst diskutierten die beiden Kontrahenten im Angenommenen Damengambit eine Variante, die zu tschigorinartigen Stellungsbildern führte. Mit 6. Sbd2 wählte der Weiße gegenüber dem gängigeren 6. Lf4 einen Aufbau, den Volkov 1998 in die Großmeisterpraxis eingeführt hat. Nach 6… Sf6 soll 7. Sc4: folgen, wonach es wegen der mangelnden schwarzen Entwicklung bedenklich wäre, den weißen e-Bauern zu kassieren, 6… e6 ist daher eine stellungsgerechte Reaktion.
Mit 10… Lb4 spielt Sipke recht unternehmungslustig; stattdessen war auch das konservativere 10… Se5 11. Se6: fe6: 12. Sc4:/Lc4: … Lb4 mit akzeptabler Stellung möglich. Mit 15… Sc6 war Sipke nachträglich nicht zufrieden. Eine Alternative war hier 15… Sed7 16. e5 Sd5 17. g3. Ich denke aber, daß das Zerstückelnlassen der schwarzen Bauernstellung am Damenflügel vertretbar war. Das schwarze Spiel läßt sich nämlich mit 16… 0-0 verbessern. Nach 17. Lc6: bc6: 18. Ke2 a5 = dürfte die Schwarze Aktivität seine strukturellen Schwächen aufwiegen.
In der Partie steht der schwarze König auf b7 nicht optimal, da er die eigenen Figuren am Gegenspiel in der b-Linie hindert. Weiß dagegen hat einen einfachen und klaren Plan: Belagerung der schwarzen Bauernschwächen. 29… g5 beschleunigt schließlich den Untergang in schlechter Stellung, da der g-Bauer nach 32. Ld2 nicht mehr zu halten ist.
Meine Wenigkeit bekam es mit »Paco« Vallejo Pons (2664) zu tun. Da ich zuvörderst weder mit ihm noch mit seiner Eröffnungswahl gerechnet hatte, verbrauchte ich in der Eröffnungsphase relativ viel Zeit. Schwarz wählte in einem Katalanen eine der aus meiner Sicht kritischen Varianten mit 4… dc4: gefolgt von a6 und Sc6. Da ich trotzdem prinzipiell gegen den schwarzen Aufbau spielen wollte, sah ich davon ab, das sichere 5. Da4+ bzw. 6. Se5 zu wählen. Nach 8… Le7!? konnte ich mich jedoch ohne Vorbereitung nicht dazu durchringen, mit 9.De2 Sd4: 10. Sd4: Dd4: 11. Td1 Db6 bzw. Dc5 den d-Bauern zu opfern, wie es Avrukh propagiert.
Tatsächlich ließen sich auch in der Nachbereitung meine Zweifel am weißen Konzept nicht zerstreuen. Aus der jetzigen Perspektive scheint mir 7.e3 ein tauglicheres Konzept, um Eröffnungsvorteil zu kämpfen. So wird Schwarz zu 7… Ld7 genötigt (Tb8 8. Sfd2+ =), wonach es mit 8.De2 oder 8. Sc3 eine volle Partie gibt. Der Partiezug 9. d5 führt letztlich zu einer eher unspannenden, recht ausgeglichenen Stellung. Andererseits war es natürlich sehr interessant, ob mich Paco dort überspielen könnte…
16. Se4 war wahrscheinlich nicht optimal; besser sollte hier 16. Df3 oder 16. Te1 = geschehen. Nach… cd6: wird Schwarz nämlich in der Partie seine einzige Schwäche los, was ihm durch den Besitz des Läuferpaares Perspektiven eröffnet. Die erste kritische Stellung entstand nach 23. Kh2: Nun hätte Schwarz besser mit 23… Dc7 um Vorteil kämpfen können. Nach der beabsichtigten Folge 24. Sa5 Lg7 25. Lh3 Le5 26. Df3 Lh3: 27. Kh3: Dd7+ 28. Kg2 Db5 29. Te3 Tc1 30. Td3 sah sich Paco in der späteren Analyse klar im Vorteil. Ich denke aber, daß sich Weiß ohne größere Probleme halten kann: Der Le5 ist in dieser Stellung nicht mehr wert als der weiße Sa5, der zwar immobil ist, aber auch die schwarze Dame an die Verteidigung des Bauern b7 bindet.
Nach dem Turmtausch ist jedenfalls wieder alles im Lot, Weiß sollte aber den möglichen Damentausch nach z.B. 27. Lh3 De4 vermeiden. Nach 31. Se3 war Schwarz gut beraten, in die Zugwiederholung einzuwilligen. Leider kann Schwarz nach dem Verlust der Damenflügelbauern mit 34… De8 (mit Remisangebot!) den weißen a-Bauern wirksam blockieren. Im 36. Zug stand mir bei inzwischen beidseitiger Zeitknappheit mit 36. Dc6 (Sb6) ein besserer Gewinnversuch zu Gebote, nach 36… De1 37. Sb6 Ld1 sollte sich aber Schwarz ohne allzu große Probleme halten können.
In Rainer Buhmanns Partie gegen Michael Adams (2734) war ein weiterer Katalane zu bewundern. Dort wählte Mickey mit 5… c5 und 8… Db6 einen Aufbau, mit dem Schwarz zwar bei gutem Spiel ausgleichen mag, aber der ihm keinerlei Gewinnchancen verheißt. 11… Ke7 war wahrscheinlich ungenau, besser geschieht hier 0-0 oder Tc8. Gleichwohl gelingt es dem Schwarzen sukzessive, die Partie auszugleichen. Unverständlich ist mir jedoch, warum er mit 26… Te8: den Turmtausch vermeidet; nach 26… Tc2: 27. Tc2: Ke8: 28. Lg7: Ta3: steht es völlig gleich. Auch 29… Td2 scheint mir unnötig; nach 29… Lc7: 30. Tc7: g5 hätte man sich guten Gewissens die Hände schütteln können.
In der Folge boten sich für Rainer zwei gute Gelegenheiten, in Vorteil zu kommen: Einerseits hätte ihm 30. a4 Tb4 31. Lb6: Tb6: 32. Tc8+ Ke7 33. T1c7+ Td7 34. Td7:+ Kd7: 35. Ta8 nebst Ta5: einige Gewinnperspektiven im Turmendspiel offeriert; insbesondere dürfte Weiß in diesem Standardendspiel der Umstand zugutekommen, daß beide Parteien noch vier Bauern am Königsflügel haben; andererseits war (in leichter Zeitnot) 34. Th8 ein besserer Gewinnversuch: nach 34… h6 35. Th7 Ke7 36. Tg7: Tb3 37. a4 Tb4 38. Th7 Ta4: 39. Th6: oder 34… Ke7 35. Th7: g6 (g5 36. Th5 nebst h4) 36. Th4 wird nur eine eingehende Analyse, die diesen Rahmen sprengt, klären können, ob sich Schwarz halten kann. Auch 34. Tc5 war besser als die Partie, da Schwarz nun seinen Turm passiv stellen müßte, um den a-Bauern zu verteidigen.
Damit war nach der Zeitkontrolle der Kampf bereits mit 4½:1½ entschieden. In den beiden verbliebenen Partien betreute Markus Ragger ein remisiges Endspiel und Daniel Stellwagen war nach aufregendem Verlauf in einem schlechteren Endspiel gelandet. Doch sehen Sie selbst:
Markus diskutierte in seiner Partie gegen Pentala Harikrishna (2659) die Panov-Variante im Caro-Kann. Schwarz wählte hier mit 11… Sf6 und 12… Ld7 eine recht konservative Aufstellung gegenüber 11… Db6 bzw. 12…. Db6. Mit 13… Sd5 entkorkt Schwarz dann eine typische Riposte mit freundlicher Einladung zu 14. Sc3 Sf6 nebst Rauchen der Friedenspfeife. Nach längerer Phase des Lavierens gefällt mir die weiße Stellung immer besser. Nach 22. Tfe1 hat Weiß bereits einiges in dieser typischen Isolanistruktur erreicht: Der Tausch der schwarzfeldrigen Läufer kommt ihm zupaß; zudem mangelt es dem Schwarzen an Gegenspiel.
Im weiteren Verlauf gefällt mir der Tausch des zweiten Turmpaares mit 30. Te1 nicht. Besser geschieht hier 30. Da5 De2 31. Dc3 De6 32. Db4 += oder 30. Se3 +=. Danach versandet die Partie allmählich zum Remis.
Zum Abschluß Vorhang auf für das Highlight des Wochenendes, in dem Daniel Weltmeister Vishvanathan Anand (2783) in der »Poisoned-Pawn-Variante« im Naydorf-Sizilianer durch mutiges Spiel an den Rand einer Niederlage brachte:
Daniel vermied es, mit 10. f5 die ausgetretenen (Remis-)Pfade zu betreten, sondern spielte mit 10. e5 und 13. Lb5!? eine altbekannte Variante aus den Zeiten des seligen Exweltmeisters Michael Tal, Gott sei seiner Seele gnädig! Mit 17… Ta4 folgt Anand noch einer Fernpartie Vogelmann gegen Löffler von 1987. Nervenstarken Naydorf-Spielern sei an dieser Stelle auch 17… Ta2: !? 18. Dg5: Sd4 19. Tbb1 Tc2: 20. Kh1 Sc6 mit schwarzem Vorteil (Kiril Georgiev) zur Analyse empfohlen. Mit 18. Sg5: weicht Daniel von der besagten Vorgängerpartie ab, in der Schwarz nach 18. Sd6+ Ld6: 19. ed6: f6 20. c3 Tah4 in Vorteil kam. Beide Seiten spielen in dieser hochkomplizierten Stellung zunächst sehr gut. Das schwarze Spiel läßt sich zuerst im 23. Zug mit 23… Ld4 24. Dd3 Tf5! (auch 24… Lg7: 25. Dg6+ Kd8 26. Dg7: Te8 27. h4 führt laut unserem 1000-äugigen elektronischem Piranha zu etwas schwarzem Vorteil, aber für Menschen sehen der weiße h-Bauer und die offene schwarze Königsstellung einfach zu gefährlich aus…) 25. g4 (Tc7 Th2:+) Lg7 26. gf5: ef5: 27. Dc4 Le5 -+ verbessern. Später verbessert das vorherige Zwischenschach 26… Lg1+ 27. Kg3 Ld4 die schwarze Spielführung etwas.
Im 28. Zug verpaßt dann Daniel mit 28. Th7! eine gute Möglichkeit, etwas in Vorteil zu kommen: nach 28… Se7 29. Se6:+ Le6: 30. De6: Lg1+ 31. Kh3 Lc5 32. g3 verfügt Weiß über die etwas besseren Chancen dank seiner nunmehr relativ gesicherten Königsstellung. Weiter war statt 31. h5 vermutlich 31. Sf3 oder 31. Se6+ += vorzuziehen.
Den wohl korrekten Ausgang hätte die Partie kurz vor der Zeitkontrolle nach 38. Kf3 Sd4+ oder 38. Kg4 = nehmen können. Nach 38. Kh3 hätte dagegen Schwarz mit 38… Ta3+ 39. Sf3 Kb8 =+ an´s Ruder kommen können. Nach dem sofortigen 38… Kb8 bot sich dagegen für Daniel die grandiose Gelegenheit, die Partie mit 39. g4 Ta3+ 40. Kg2 Tg3+ 41. Kh1! Tg4: 42. Se6 zu seinen Gunsten zu entscheiden!!!
Nach der Zeitkontrolle steht ihm dagegen ein mühsamer Kampf ums Remis bevor: Sollte Schwarz es schaffen, seine drei Leichtfiguren zu koordinieren, wird es für Weiß eng… Nach 45… Ta5 bot einzig 46. Dd8 noch Verteidigungschancen, allerdings ist auch hier Schwarz nach 46… Tb5 47. c4 Sf5+ 48. Kd5 Tb6 klar im Vorteil.Wenn auch Daniel die theoretische Einschätzung der Variante nicht erschüttern konnte, so gebührt ihm jedenfalls Respekt für seinen Mut und Kampfgeist!
Endstand 6:2 für den Gastgeber. Insgesamt müssen wir leider anerkennen, daß wir zuwenig gezeigt haben, um Baden-Oos ernsthaft in Bedrängnis zu bringen.
Glückwunsch zur Deutschen Meisterschaft noch einmal von dieser Stelle!
Michael Hoffmann