Zurück im Hotelrestaurant wurde bei Balkanspezialitäten und Hopfenkaltschalen schnell klar, daß nur ein Sieg gegen Eppingen die Chancen auf eine Teilnahme am Europapokal aufrechterhalten würde. Leider sollte es am Ende nicht sein. Doch sehen Sie selbst:
Für wenig Aufregung sorgte Alexander Naumanns Katalanischpartie gegen Zoltan Gyimesi (2592), die bereits nach der Eröffnung mit einer Zugwiederholung endete. Als einzige Frage bleibt, was gegen 14. oder 16. e4 (besser spät als nie) dc4: 15. Sc4: b5 16. Se3 Db6 17. b3 und leichtem Vorteil für Weiß sprach, so geschehen unter anderem in einer Partie Vaganian gegen Gyimesi (Antwerpen 2008 (!)), die Rafik gewann. Kann Schwarz sein Spiel fundamental verstärken?!
Keine hohen Wellen schlug auch die Schwarzpartie von Markus Ragger gegen Robert Ruck (2574). Der Weiße wählte hier ein sehr ruhiges System gegen das von Markus bevorzugte Slawisch mit dem Ergebnis, daß Schwarz mühelos ausglich. Der Remisschluß im Doppelturmendspiel war die logische Konsequenz.
Zur Sache ging es dagegen in der Partie Arik Braun (2567) gegen Daniel Stellwagen. Hier wählte der Weiße mit 4. e3 ein recht populär gewordenes System gegen Dannys Halbslawisch. Schwarz beantwortete dies mit dem recht zweischneidigen 10… dc4: anstelle der solideren Optionen 10… La5 oder Ld6. Der aggressive weiße Aufbau mit Df5/Tae1/f4 stammt aus einer Schnellpartie Topalovs aus dem Jahre 2007 und stellt einen gefährlichen Versuch dar, den Schwarzen zu attackieren.
20… Kh8 möchte ich lieber durch … Sa4 ersetzt wissen, so bleibt der Bf7 gedeckt. Die schwarze Stellung sollte nach 21. Sd6: Dd6: 22. Ld5: cd5: ok sein. Nach 20… Kh8 sollte Weiß m. E. mit 21. Sd6: Td6: 22. Te5 und einiger Initiative fortsetzen. Das aggressive 21. h4 erlaubte dagegen 21… Lb8 22. Sc5 g6 mit verteidigungsfähiger Stellung. 25. Lc3 war später zweifelhaft. Hier konnte Weiß forciert mit 25. Sd6: Dd6: 26. hg6: fg6: 27. Lg6: T6e7 28. Le8: Sd2: 29. Lf7! Tf7: 30. Tf2 Sf4: 31. Te8+ Kg7 32. Dh6+ (soweit unser elektronischer Freund) in ein vorteilhaftes Endspiel abwickeln; allerdings sollten die schwarzen Remischancen intakt sein. Nach 25… Lf4: vergeigt Weiß dann mit 26. Dd3 endgültig die Partie. Nach dem richtigen 26. Tf4: Sf4: 27. Df1 Sd5 28. Dc4: gh5: sind in unklarer Lage alle drei Partieausgänge möglich.
Sollten wir doch noch einen Platz auf dem Treppchen schaffen?
Sipke Ernst diskutierte als Weißer mit einem weiteren ehemaligen Jugendweltmeister, Peter Acs (2542), in einem Chebanenko-Slawen mit 5. Lg5!? ein echtes Gambit im besten Katalanisch-Stil. Nach 10. Se5!? ist Weiß bereit, nach … f6 mit 11Sc4: bc4: 12. Tb1 weiter zu investieren. Kleinlicher ist freilich auch 10. 0-0 Sd7 11. Db1 g6 12. Sd2 Dc8 13. a4 und schöner Initiative für den Bauern möglich. Nach 11. e4 hat Weiß die aus Katalanischen Stellungen bekannte typische Kompensation für den Bauern.
Sipkes 15. e5 ist jedoch zu ungestüm und sollte entweder durch 15. Le3 nebst f4-f5 (Sipke) oder durch 15. h4 Lg7 16. h5 mit jeweils unklarer Kampfstellung ersetzt werden. Nach 17… c5 neigt sich die Waagschale zugunsten des Schwarzen. Nach der Antwort 18. d5 hätte er jedoch das männliche … Lc3: 19. Tc1 Ld4 20. Te1 Df5 mit klarem Vorteil wählen sollen. Auch 20… Td8 ist in der Partie zu schüchtern und sollte durch 20… Ld5:! 21. Tfe1 Lg2: 22. Lg7!? Lb7! 23. Lf6: 0-0 abermals mit klarem Vorteil ersetzt werden.
Nach 23. Tad1 ist die Partie bereits gekippt. Für nur einen Bauern sind jetzt alle weißen Figuren gegen den unrochierten schwarzen Monarchen in Stellung gebracht. Kein Wunder, daß Weiß deshalb mit 24. De2 bereits gewinnen kann: Es droht vernichtend Lg4 und nach… Td6 gewinnt Weiß mit 25. Lg7 Tg8 26. Lg4 Dg6 27. Lh5. Der zweite »Elfmeter« bestand in 26. Db6 mit der Idee Lf5. Weiter gewann außerdem 27. d6 statt Lf5.
Tragikomischerweise ist auch die Schlußstellung (Zeitnot) noch für Weiß gewonnen: nach 33… Le5 gewinnt nämlich 34. Te5: (von Sipke übersehen) de5: 35. De4+ Kb6 36. De3+ Ka5 37. Tb1 und Schwarz wird mattgesetzt. Zäher ist allerdings 33… Lb2, wonach sich die weiße Mehrdame aber nach 34. Ld6: Td6: 35. Td6:+ Dd6: 36. Te6 c3 37. Td6:+ Kd6: 38. Df6+ Kc5 39. De7+ Kb6 40. Dg5: gegen die beiden Läufer durchsetzen sollte. Zugegebenermaßen ist dies alles in Zeitnot nicht einfach zu eruieren.
In Predrags Nikolics Weißpartie gegen Ferenc Berkes (2645) konnten wir dagegen mit dem Ergebnis recht zufrieden sein. Hier duellierten sich die beiden Paukanten in einem Tartakower-Damengambit. Ohne in dieser Variante Experte zu sein: Nach 15… Sa6 dürfte Schwarz ausgangs der Eröffnung bereits eine sehr bequeme Stellung haben. Alternativ zur Partie war es sicher auch keine schlechte Idee, zwischen dem 17. und 19. Zug c5 zu spielen, jeweils mit angenehmerem Spiel. Schwarz behält jedoch auch nach 19… Tfa8 nebst La6-c4 einigen Vorteil.
Später überschätzt der Magyare jedoch die Stärke seines c-Bauern. Statt 30… c4 verheißt z. B. … cd4: 31. Tb1 T2a3 32. Se1 Dg6 klaren Vorteil. In der Partie hat Weiß nach 33. Dd5 alle Schwierigkeiten überwunden.
Romain Edouard spielte mit Weiß gegen Namig Gouliyev (2521). Etwas überrrascht war ich von seiner Eröffnungswahl: Seine Variante gegen Slawisch ist zwar risikolos für Weiß, aber auch nur sehr schwer zu gewinnen und paßt daher vielleicht eher zum Stil eines anderen Spielertypus.
Dabei ist in der Variante 14. Lf6: keine nennenswerte Verbesserung gegenüber dem älteren Zug 14. Lc2 Sd5: 15. Le7: Se7: 16. Sd4: Db6/Sg6 =. Die Stellung mit den ungleichfarbigen Läufern verspricht m. E. für Weiß trotz des Mehrbauern wenig Gewinnaussichten. Hoffte Romain etwa, daß sein Gegner wie unlängst Nicolas Brunner gegen ihn in Nancy mit 19… Db3:? sich den unwichtigen d-Bauern einverleibte? Danach verfügte Weiß in der Tat mit 20. d6 über klaren Vorteil.
In der Partie ist jedenfalls nicht ersichtlich, wie Weiß (mit oder ohne Türme) jemals die schwarzfeldrige Blockade überwinden soll. Selbst als Schwarz mit f6 unnötig die Königsstellung schwächt und die Auflösung des weißen Doppelbauern zuläßt, bringt dies den Weißen noch nicht wesentlich weiter. Nach 47… Kh6 bot sich jedoch die Chance, den schwarzen König mit 48. h4 zu behelligen. Nach … b4 49. Df6 Lb6 50. Kh3 Lc7 51. Le2 hat Weiß zumindest gewisse Fortschritte gemacht. Ob dies zu reellen Gewinnhoffnungen Anlaß gibt, ist jedoch nicht mit Bestimmtheit zu sagen.
Die Schwarzpartie von Rainer Buhmann gegen Csaba Balogh ist schnell geschildert: Mit 4. d3 vermeidet Weiß im Spanier die berüchtigte »Berliner Mauer« und verfolgt dabei eine Strategie analog zur Abtausch-Variante. Zwei Monate zuvor hatten die beiden Strategen bereits die gleiche Variante in der Österreichischen Liga auf dem Brett. Diesmal verbessert Rainer sein damaliges Spiel und gleicht die Partie mühelos nach 15 Zügen aus. Das Gleichgewicht wird auch im restlichen Verlauf der Partie nicht mehr beeinträchtigt.
In meiner Partie gegen Zoltan Medvegy (2556) kredenzte ich meinem Gegner Halbslawisch. Mit 8. Ld3 statt Le2 setzte er mir bereits zu sehr früher sonntäglicher Stunde einen mir unbekannten Zug vor. Darauf war 8… e5 eine natürliche und gute Reaktion. Ohne es zu wissen bereicherte ich dann mit 12… a6 die Schachwelt um einen neuen Zug. 12… e4 gefiel mir wegen 13. Le2 a6?! 14. Sc7! Ta7 (Tb8 15. 0-0 +=) 15. Tc1 += nicht besonders, Weiß kann eventuell am Königsflügel mit späterem g4 lästige Initiative entfalten. Nach dem besseren 13… Sb6 hat Schwarz jedoch keine Probleme, wie auch eine Partie Lenic gegen Asrian aus 2007 dokumentiert. Nach 12… a6 ist übrigens das abenteurlich anmutende 13. Sc7!? Ta7 14. 0-0 ed4: 15. ed4: Sb8 16. Tfc1 Sc6 17. Sa6: Se4 mit schwer einzuschätzenden Komplikationen der kritische Test. Selbstverständlich haben wir beide fast nichts von dieser Variante berechnet…
Jedenfalls konnte ich mit 14… Lg4 alle Eröffnungsprobleme der Partie lösen. Statt 16… Sc6 war sicherlich auch das natürlichere … Te8 17. 0-0 g6 18. Dg5 Se4 und mindestens gleicher Stellung nicht von der Hand zu weisen. Zu 18… Da5 kam auch … Tc8 19. 0-0 Dc7 mit Ausgleich alternativ in Frage. Später war 22… Tac8 nutzlos; besser sollte die schwarze Dame sofort mit … Dd8, was einen Zug später wegen Se2 nicht mehr funktionierte, zum Königsflügel überführt werden. Nach 23. Tc1 Tc8 ist die Stellung gleich.
Spannend wurde es aber erst, als ich nach längerem Nachdenken nach 27. Sc1 die stellungsgerechte Fortsetzung … Dc2 28. Db7: Sh4 29. De4 De4: 30. fe4: Tc2 mit Remisausgang zugunsten nebulöser Bemühungen am Königsflügel verschmähte. Zunächst konnte nun Weiß nach 31… Tc3 mit 32. b4 Td8 33. Se5 in Vorteil kommen. In der Partie verfällt Weiß nach 32… De6 (übersehen!) in Panik; nach der richtigen Reaktion 33. Tc1 Tfc8 befindet sich die Partie immer noch bzw. wieder im Gleichgewicht.
Nach 34. Se5? gewinnt dagegen Tc5 auf der Stelle: 35. Td5 f5 36. Dh1 Df1:+ 37. Kf1: Tc1+ und das Spiel ist aus! Mit besseren Nerven hätte mich 34… f6 35. Td7 jedoch nicht aus dem Gleichgewicht bringen müssen: Nach 35… Td3!! gewinnt immer noch Schwarz, man sehe: 36. Sd3: Sf3+ 37. Df3: Df3: 38. Td4 Dg4+ 39. Kh1 Tc8 40. b4 Tc2. Tja, das haut den stärksten Eskimo vom Schlitten und kostet 10 Elopunkte sowie die Hoffnung, bei einem möglichen Verzicht von Tegernsee doch noch Europapokal zu spielen… Nach 36. Db7 und 37. Df3 fand ich mich stattdessen in einem Endspiel wieder, das nur Optimisten noch als miserabel einschätzen können. Im 53. Zug war mit … Sc4+ 54. Kc2 Ta5: 55. Ta5: Sa5: noch besserer Widerstand zu leisten, aber letztlich sollte auch dieses Springerendspiel verloren sein.
Endstand 4:4. Auch wenn uns das letzte »Sahnehäubchen«, die Teilnahme am Europapokal knapp verwehrt blieb, so meine ich doch, daß wir auf eine alles in allem erfolgreiche Saison zurückblicken können, in der wir uns wieder im vorderen Drittel der Liga etablieren konnten.
Bis zum nächsten Herbst – ich komme wieder, keine Frage!
Michael Hoffmann