Heute war einer dieser seltenen Tage, in denen die Mannschaftstaktik hundertprozentig aufgeht. Vor 3 Jahren bei unserer Europapokal-Teilnahme in Fügen waren wir ebenfalls in der 5. Runde auf den HMC Calder getroffen, doch während wir damals als klarer Favorit in die Begegnung gingen (und 4½:1½ gewannen), waren diesmal die Vorzeichen genau umgekehrt. Die Holländer waren nominell sehr deutlich favorisiert, so dass unsere Strategie darin bestand, in den beiden Weiß-Partien mit nur minimaler Elodifferenz an den Brettern 4 und 6 volles Risiko zu gehen. Dieser Plan ging ideal auf, denn nach der bisher stärksten Mannschaftsleistung stand durch Siege von Oliver Kniest und Andreas Peschel und drei weiteren Remisen bereits der Überraschungssieg gegen unseren bisher zweitstärksten Gegner fest, so dass die abschließende Niederlage von Thomas Michalczak wieder für unser Standardergebnis von 3½:2½ sorgte.
Für Milon Gupta brachte der heutige Tag die wichtige Erfahrung, dass eine frühere Karriere als Schachbuchautor sich auch 15 Jahre später noch auszahlen kann. Sein Kontrahent, der für seine häufig extravaganten Eröffnungsideen bekannte IM Gerard Welling (2372) verzichtete gegen Milon nämlich auf 1.e4, weil er sich in den Feinheiten des Mittelgambits im Nachzuge nicht so sehr auskenne und Milon doch 1994 zusammen mit Jerzy Konikowski ein Buch darüber verfasst habe. Natürlich hätte Milon nicht im Traum daran gedacht, diese Eröffnung zu wählen, war aber auch so über die Reti-Eröffnung froh, die zu einem ruhigen Positionskampf führte, bei dem Milon keine Schwierigkeiten besaß, das Gleichgewicht zu wahren und die erste Punkteteilung zu erzielen.
Sehr beeindruckend die Vorstellung von Michael Hoffmann am Spitzenbrett, der gegen unseren Nationalspieler GM Daniel Fridman (2661) im Modernen Benoni erneut eine perfekte Vorbereitung bis zum ausgeglichenen Endspiel demonstrierte. Dabei wusste Michael nicht, dass Fridman die gleiche Variante bereits vor 3 Tagen gegen GM Alekseev (2712) auf dem Brett hatte, was ihn aber nicht daran hinderte, dessen Spielweise zu verbessern! Wenig später erzielte Oliver Kniest gegen den routinierten FM Michiel Abeln (2334) seinen ersten Sieg im Turnier. Der Holländer ließ Ollis Vorbereitung wieder einmal ins Leere laufen und wählte erstmalig die Altindische Verteidigung. Doch er konnte in der Eröffnung keinen Ausgleich erreichen, so dass es sich der Teamcaptain nicht nehmen ließ, mit einer kleinen Kombination Material und nach dem Umschiffen einiger taktischer Klippen auch die Partie zu gewinnen.
Mit der Zeitkontrolle erhöhte Andreas Peschel dann die Führung auf 3:1. Gegen CM Remco Sprangers (2225) erlangte Andreas frühzeitig eine sehr angenehme Position und setzte diese dann mit dem Selbstvertrauen des gestrigen Sieges in seiner vielleicht besten Turnierleistung sehr souverän in einen vollen Zähler um. Damit waren die beiden erhofften Weiß-Siege eingefahren und es fehlte nur noch ein halber Zähler zur großen Überraschung. Diesen sicherte ganz souverän Jörg Wegerle gegen den jüngsten Großmeister der Welt Anish Giri (2552). Aus 1.c4 entstand auf Umwegen eine französische Abtauschvariante, nach der wirklich niemals das Stellungsgleichgewicht auch nur annähernd gestört war, auch wenn es sich der Jungstar nicht nehmen ließ, das totremise Endspiel fast bis zu blanken Königen weiterzuschleppen.
Einziger Unglücksrabe des Tages war damit Thomas Michalczak, der mit Schwarz gegen den talentierten FM Twan Burg (2449) in einer ruhigen Italienisch-Stellung vollen Ausgleich erlangt hatte, dann aber im Springerendspiel kurzzeitig zu passiv agierte, was zu einem entscheidenden Bauernverlust führte. Vielleicht kann Tom ja morgen seine glänzenden Theoriekenntnisse einsetzen, denn zur Belohnung geht es morgen gegen die russische Mannschaft von ShSM 64 Moskau, die mit einem Elo-Schnitt von 2692 noch vor Baden Baden gesetzt ist!
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