Bei der Auswertung von Glückskecksen und dem Verzehr von toten Vögeln und Gerstensaft beim Chinesen wurde abends schnell klar, was die Marschrichtung in der nächsten Runde war: ein klarer Sieg gegen Heidelberg. Ob dieses Ziel erreicht wurde, erfahren Sie im folgenden Bericht.
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Die zuerst beendete Weißpartie von Jan Werle an Brett 1 gegen V. Ikonnikov (2558) verlief nicht ganz nach unserem Geschmack. Wie Jan selber eingestand, war dies seine erste offizielle Partie gegen die Leib-und-Magenvarinate des Schwarzen, die in englischen Kreisen als Kalaschnikow-Variante bekannt ist. Meines Erachtens muß man schon im 8. Zug ansetzen, um wirksame Verbesserungsvorschläge zu machen, die Weiß eine Chance auf Vorteil erhalten. Am kritischsten dürfte 8. Sc4 sein: Nach b5 erhält Weiß mit 9. Se3 Sf6 10. g3 (Ld3) b4 11. Sd5 Se4: 12. Lg2 f5 13. g4 etwas Vorteil. Alternativ ist 8… Le6 9. Le3 Sf6 (b5 10.Sb6 Tb8 11. Le2 0-0 +=) 10. Sb6 Tb8 11. Le2 0-0 += möglich.
Besser als die Partie ist auch 8. Sd5 Sf6 (b5 9. c4 ist rikant) 9. Sf6:+ Lf6: 10. Sc4 Le7 11. Le3 Le6 möglich, hier fällt der weiße Vorteil aber minimal aus. Klar ist, daß Schwarz nach 13… Ld8 alle Eröffnungsprobleme gelöst hast. In der Schlußstellung sollte er nach 21… Db7 22. Dd3 + e4 23. De2 Dc6 bereits einen Tick besser stehen, weshlab Jan’s Angebot gut getimed war.
In meiner Schwarzpartie gegen A. Syska (2255) probierte dieser gegen mein bevorzugtes Naydorf 6. a4. Dies ist eine gut spielbare Variante, allerdings sollte Weiß in offenen Sizilianisch-Stellungen niemals freiwillig Figuren zurückziehen! Gegeben war daher 7. Le2, was nach e6 zu Scheveninger-, g6 zu Drachen- oder e5 zu typischen Naydorf-Strukturen führt. Das Problem bei 7. Sb3 ist, daß Weiß Gefahr läuft, eine Scheveninger Partie mit zwei Minustempi zu ereichen, da Weiß üblicherweise erst nach schwarzem Ld7 Sb3 spielt. a5 ist demgegenüber nie eine wirkliche Drohung, da Schwarz die sich öffnende b-Linie zum Gegenspiel nutzen kann, so daß ich keinen Anlaß gesehen habe, den Zug mit 8… oder 9… b6 zu verhindern.
In Schwierigkeiten bringt sich Weiß aber erst mit 19. Sd4. Nach 19. De2 sollte die Partie noch ungefähr gleich stehen, obzwar sich die schwarze Position leichter spielen läßt: Weiß fehlt es an konstruktiven Plänen. Allerdings ist die weiße Stellung nach 22… Tb4 noch nicht so schlecht, wie von mir in der euphorischen Ansicht angenommen, bald zum Frühschoppen der Hohen Chargen des Vereins stoßen zu können.
Nach 23. c3 Tb3 24. Td2 h6 oder Sf6 hielte sich der weiße Nachteil nämlich noch in Grenzen. In der Partie scheitern alle weißen Bemühungen, noch im Trüben zu fischen, letztendlich an dem unglücklichen Rappen auf a4, so daß es nicht verwundert, daß das schwarze Konterspiel mit dem mächtigen Läufer auf a8 durchdringt.
In der Partie Rainer Buhmann gegen V. Gurevic (2470) verfolgt Weiß gegen dessen Igel mit 8. d4 eine riskante Strategie, deren Vorzüge sich für mich nicht so recht offenbaren wollen. Statt 9… Le4 ist auch Sc6 möglich, wonach Weiß aber mit 10. d5 Sa5 11. e4 Sc4: 12. Lf4 schöne Initiative entwickeln könnte. Vielleicht wollte Rainer einfach mit 14. Lh3 seinen Lieblingszug auf’s Brett bringen? Viel Glück sollte der Läufer allerdings nicht bringen …
20. Dd7 will mir nicht gefallen. Warum nicht 20. Dc6(g4 Lf3: 21. Tf3: Lg5= führt zu nichts) Lb2 21. Ta2 Lf6 (Lg7 22. Sg5) 22. a5 mit leichter Initiative? Nach 21… Te7 wäre es sicher angemessen, den Läufer auf b5 auf einem sinnvollen Feld zu postieren (immer noch mit leichtem Vorteil), aber leider erlag der Weiße wieder dem Zwang, den Läufer auf sein Lieblingsfeld zurückzuziehen. Statt 23. Tb3 scheint mir Ta2 stimmiger, nach Lf6 stünde die Partie gleich. Nach 25. Lh6 lag es in der Partie bereits an Schwarz, mit Tbe8 26. Kf1 Lg7 auf Vorteil zu spielen: Die weiße Stellung macht keinen besonders harmonischen Eindruck. Statt später mit 28. Lg5 stellungsgemäß die Züge zu wiederholen, stellte der Weiße mit 28. Kf1?? bereits die Partie ein. Zur Verwunderung aller bot Schwarz jedoch nach 29… Te4 in klar besserer Stellung remis an. Nach 30. Tc1 Lb2 31. Tc2: La3: 32. Ld7 Lb4 wären Rainer’s Verteidigungskünste auf eine harte Probe gestellt worden …
Predrag Nikolic zeigte in seiner Schwarzpartie gegen G. Ginsburg (2537) eine solide Verteidingunsleistung, von der selbst unser Torwart vielleicht noch etwas lernen könnte:) In Predrag’s 3… a6- Variante zeigte Weiß keine Ambitionen mit 4. Ld3 c5 5. dc5: Lc5: 6.Sgf3 Sc6 7.0-0 in einem vollen Mittelspiel etwas zu versuchen (wie z. B. Svidler in der letzten Saison oder ich in der Holländischen Liga 2002, sondern begnügte sich damit, nach der Eröffnung direkt ein ein allenfalls leicht besseres Endspiel abzuwickeln. Eine Strategie, die Predrag nicht sonderlich beeindruckt haben dürfte. :)
Mit 15… Sd4: und 16… Ld4: deutet Schwarz bereits an, daß der Wert des Läuferpaares zuweilen überschätzt wird und in der Partie nichts Wesentliches mehr passieren wird. Mit 15… h5 war es jedoch durchaus möglich, noch Spannung in der Partie zu halten, aber gute Angler wissen, wann man Schnur geben darf. :) Nach 18. Lf4 sieht die weiße Stellung zum ersten Mal etwas angenehmer aus. Um so beeindruckender ist, mit welcher Leichtigkeit Predrag die beiden weißen »Stangen« im Zaume hält. Dabei sind Züge wie 22… b6 allerdings unabdingbar. Reelle Gewinnchancen kann ich danach nicht mehr ausmachen.
Die Reihnefolge ist nicht ganz klar, aber möglicherweise endete als nächstes die Partie von Jan Werle mit Schwarz gegen V. Chernov (2433). Schwarz wählte mit 6… Lh5 eine recht radikale Behandlung im Abtausch-Spanier. Wenn mir das schwarze Konzept spontan »Kirmescharakter« zu haben schien, so muß ich nach näherer Beschäftigung mit der Variante zugeben, daß Schwarz wohl in jedem Fall eine Menge positionelle Kompensation für den Bauern bekommt. Dabei verbessert 9… f6! die früheren Versuche 9… h5 10. d3 bzw. 9… Ld6 10.d4 jeweils mit Vorteil für Weiß. 11.d4 erscheint mir etwas forsch: nach dem neutraleren 11. Kg2 0-0-0 12. d3 g5 (Ld6) 13. Sd2 Se7 14. Th1 Dh7 nebst Sg6 hat Schwarz jedoch ebenfalls vollwertige Kompensation (Maze- Naiditsch, 2009) In der Partie scheint sich die Waagschale nach 14… Sg6 langsam bereits zugunsten des Schwarzen zu neigen… Die kritische Stellung dürfte nach 21… gf4: erreicht sein: Weiß sollte angesichts seinesWanderkönigs schleunigst mit 22. Dh5 die Dame tauschen. Das Endspiel nach 22… Dh5: 23.gh5: Sf5 24. Thg1 Sd4:+ 25. Kf1 Se6 26. Td8:+ Td8: 27. h6! gh6: 28. Tg6 sollte eher etwas besser für Weiß sein. Besser geschieht aber 22… f3+ 23. Kd3! Dh5: 24. gh5: f5 25. b4 bzw. e5 und Weiß kann sich laut Rybka halten.Nach 22. f3 Sg2 (f5!?) ist das Endspiel nach dem immer noch besten Zug 23. Dh5 Dh5: 24. gh5: Se3 25. Td3 Th8 bereits recht unerfreulich für Weiß. Nach der weiteren Ungenauigkeit 23. Td2 konnte Jan bereits mit Dh4 24. Sd1 Dg3 entscheidend in die weiße Stellung eindringen. Nach 23… Se3 konnte Weiß ein letztes Mal mit 24. Dh5 Dh5: 25. gh5: Sc4 26. Tdd1 Sb2: 27. Tdg1 Te7 ein sein freudloses Endspiel entweichen, das ihm angesichts seiner lädierten Bauernstruktur jedoch wenig Freude bereiten wird.
Die Gewinnstellung bringt Jan relativ sicher nach Hause, wenn auch 25… b6! die Gewinnführung verkürtzt hätte und 29… Td7 Weiß die Möglichkeit in der Partie genommen hätte, mit 30. Kf4:! Sd5+ 31. Kg3 Tf8 in weiter schlechter Stellung noch zu kämpfen.
In der Partie zwischen Alexander Naumann und HJ Vatter (2321) diskutierten die beiden eins der Hauptsysteme der Englischen Eröffnung. 8… a5 ist dabei heute nur noch selten in der Meisterpraxis anzutreffen. Schwarz verhindert so zwar das Ausbreiten des Weißen am Damenflügel, aber letztlich wiegt die Schwächung des eigenen Damenflügels höher. Besser ist das aus vielen Partien bekannte 8… 0-0 9. b4 Le6 bzw. Te8.
Zu 14. e4 gibt es zwei gute Alternativen: a) Sd2 Tc8 15. Se4 b6 16. Sd6: cd6: 17. Lb6: Sb6: 18. Tc6: mit klarem Vorteil (Kasparov-Kiril Georgiev, Blitzweltmeisterschaft 1988) und B) 14. d4 e4 (ed4: 15. Sd4: Sd4: 16. Dd4: +-) 15. Se5 f5 16. Ld6: Dd6: 17. Sc6: bc6: 18. Dc2 Sf6 19.e3 (Quinteros-Dzindzichasvili 1983) In der Partie sollte Schwarz besser mit 14… Sf6 15. d4 Lg4 16. d5 Se7 += reagieren. Nach 17. Sd4: hätte Sd4: 18. Dd4: Sc6 19. Dd1 Tad8 20. f4 f6 += hingegen bessere Verteidigungschancen geboten. Das Endspiel nach 20. Dd7 ist bereits sehr unangenehm: Weiß hat nicht nur das Läuferpaar, sondern auch die mobile Bauernwalze am Königsflügel und Druck auf den offenen Linien, ohne daß Schwarz die geringste aussicht auf Gegenspiel hätte. Selbst die Aufgabe des Läuferpaars mit 33. Lc6: bringt Schwarz keine Entlastung, da Schwarz Schwächen auf beiden Flügeln verbleiben.
Eine technisch saubere Partie von “Sasha”!
Kommen wir nun zu einer Partie, in der wir lange Zeit zittern mußten: Erwin L’Ami gegen E. Gerik (2335). In einem Bogoinder wählt Weiß mit 5.g3 eine recht schlaffe Fortsetzung. Nach meinem Verständnis verspricht nur 5. a3 nebst Sichern des Läuferpaares bzw. Zurückwerfen des Schwarzen nach 5… Le7 6. e4 Aussichten auf Eröffnungsvorteil. 9. Se5 sieht folgerichtig aus, 12. Sd3 würde ich jedoch lieber durch Tc1 nebst Da4 ersetzen. Auch Lg5 scheint mir seltsam, hier sieht 13.Tc1 c5 14. Sfe5 cd4: 15. Sf3 mit normaler Stellung besser aus. Nach 17… Sc7 sieht die schwarze Position bereits etwas angenehmer aus: das weiße Spiel gegen die hängenden Bauern ist zum Erliegen gekommen. 21… Lf4: ist nicht unbedingt notwendig, nach 21… b4 hat Schwarz bequemen Vorteil. Mit 22. gf4: setzt Erwin bereits strategisch alles auf eine Karte, nach 22.ef4: Lc8-f5 steht Schwarz freilich auch angenehmer. Statt 24… Lg4 scheint mir De6 plausibler und 29… Sb5 läßt sich durch f6 30. Sg6 Le4 mit großem Vorteil verbessern. Kurz vor der Zeitkontrolle konnte Schwarz mit 39… f6 den ersten glasklaren Gewinn sicherstellen: Nach 40. Sg6+ Kh7 41. Sh4 Lg4: 42. fg4: De4+ ist die Partie gelaufen. Mit 42. e4 wird es nach der Zeitkonrolle wieder spannend: Schwarz muß jetzt de4: 43.fe4: Sd6 44. Tg7: Df6 finden, um Vorteil zu bewahren. Nach 43. Tg7: hat sich das Blatt dagegen in der Partie unbemerkt komplett gewendet. Mit 46. Sg4 setzt Weiß jedoch nicht nergisch genug nach. Nach dem nicht einfach zu findenden 46. Th3 Kh7 47. Sd7 Dd4: 48. e5 T3c6 49. e6!! fe6: 50. f6 Df4 51. Tg7+ Kh8 52. Tg6 Kh7 53. Se5! (Rybka) siegt Weiß stilvoll im Angriff. Die letzte kritische Stellung ergab sich nach 50. T4g2: Jetzt kann Schwarz mit Th4 immer noch etwas Vorteil geltend machen oder die Partie mit c1D 51. Tc1: Tc1:+ 52. Dc1: Dd4: 53. Dc8 Dd1+ zum Remis führen. Der Partiezug führt leider nur zu einem Eintrag bei »Die Gurken des Wochenendes«.
In der letzten Partie zwischen J. Schwalfenberg (2317) und Markus Ragger war dem Weißen offenbar nicht an einem Theorieduell gelegen. Statt des passiven 6. d3 kann Weiß aber mit 6.cd5: ed5: 7. Lb5 oder Le2 oder mit 6.g3!? eine volle Partie erhalten. Mit 7… d4 kann Schwart bereits zu einer günstigen Benoni-Struktur übergehen, da der weiße Läufer auf b2 mißplaziert ist. Allerdings kommt Schwarz auch so mit angenehmer Stellung aus der Eröffnung. Später möchte ich 16. Lb5 durch f4 ersetzt wissen. Nach 18. Dg4 (f4!) kann Schwart nämlich chancenreich mit Se5: 19. Le5: De5: 20. Le8: Te8: 21. Sf3 Df6 und schöner Kompensation die Qualität opfern. Nach 20. Sf3 statt De2 in der Partie dürfte die weiße Position vorzuziehen sein. Schließlich verpaßt Weiß im 34. Zug die Chance, mit Tf4! d4 (Ld6: 35. Lg7:! Kg7: 36. Tg5+ Kh8 37. Dh6+-) 35. ed4: cd4: 36. Df3 De3+ 37. De3: de3: 38. Td1 noch etwas Vorteil festzuhalten. Nach 34. Dg3 konnte dagegen Schwarz mit g6 35. Df3 Ld6: =+ die Führung übernehmen.
Nach der Zeitnot bekommt Markus noch unverhofft die Gelegenheit mit 44… De7! klar in Vorteil zu kommen. Daher hätte Weiß 44.h4 Lb4 45. Tdd3: De2+ 46. Kh1 bzw. 44… g4 45. Tfd3: De1 46. Td1 jeweils mit Dauerschach spielen sollen. Nach dem Damentausch ist die Partie schließlich remis.
Endstand 6:2, ein in der Höhe wohl etwas zu hoch ausgefallener Sieg.
Michael Hoffmann