Das Abendessen beim Italiener mit ausreichenden Mengen köstlichen „Traubensafts“ bzw. „Gerstenkaltschalen“ machte die Misere gegen den Bremer Gastgeber, der auch außerhalb des Weserstadions ausgezeichnete Spielbedingungen bot, schnell vergessen. So konnte es am nächsten Morgen unbeschwert gegen den Hamburger SK gehen. Nominell war Solingen zwar im Vorteil, aber traditionell sind in der Vergangenheit die Kämpfe gegen die sympathischen Hanseaten stets hart umkämpft gewesen. Diesmal sollte es jedoch etwas anders kommen.
Die Aufstellung im Einzelnen:
- Kempinski, R. (2616) – Nikolic
- Werle, J. (2563) – Rogozenko (2541)
- Hansen, S.B. (2552) – Edouard (2620)
- Jussupow, A. (2566) – Ftacnik, L. (2532)
- Müller, K. (2523) – Ragger, M. (2561)
- Ernst, S. (2589) – Heinemann, T.( 2484)
- Huschenbeth, N. (2411) Naumann, A. (2522)
- Hoffmann, M. (2513) – Van Delft, M. (2374)
In einem korrekten „Großmeisterremis“ endete zunächst die Partie zwischen Kempinski und Nikolic. In einer typischen Isolani-Struktur im Damengambit setzte Weiß mit 10.d5 unter Auflösung seines Einzelbauern auf die etwas höhere Figurenaktivität. Dem Schwarzen gelang es jedoch, beginnend mit 17… Le6 zunächst das weiße Läuferpaar und sodann durch einige genaue Züge die weiße Initiative zum korrekten Remisschluss zu neutralisieren.
Wenig später endete auch die Partie zwischen Jussupow und Ftacnik friedlich. In einem Grünfeld – Inder wählte der Weiße mit 10. Te1 und 11. De2!? eine sehr subtile Aufstellung, die GM Avrukh in einem aktuellen Repertoire-Buch propagiert und unlängst in einer Bundesligapartie von Potkin gegen Areshenko erfolgreich angewendet wurde. Mit dem interessanten Konzept 17… Lc3: 18. bc3: Dd2 folgt Ftacnik schließlich einer kürzlich gespielten Partie zwischen Hirneise und Gopal, in der Schwarz alle Eröffnungsprobleme lösen konnte. Statt der sofortigen Öffnung der Stellung mit 20.f5 hätte Artur jedoch mit 20. Ld4 oder Tad1 nachhaltiger die Kraft Läuferpaares nutzen können. Danach scheint mir die weiße Stellung vorzugswürdig. Nach der weiteren kleinen Ungenauigkeit 26.La6 statt Kf2 mit Minivorteil war das Remis bereits unterschriftsreif.
Eine sehr scharfe Partie war zwischen Werle und Rogozenko zu sehen. Der Schwarze wählte hier kampfbetont das Blumenfeld-Gambit, das Jan in dieser Saison bereits zum zweiten Mal auf dem Brett hatte. Diesmal wählte er mit cb5: und späterem g3 jedoch eine prinzipiellere Behandlungsweise als weiland gegen Naiditsch. Im weiteren Verlauf entstand eine dem Wolga-Gambit ähnliche Stellung. Hier ist Schwarz, anders als im Wolga-Gambit, gehalten, im Zentrum sein Spiel aufzuziehen. Beginnend mit 16. b3 konnte die schwarze Initiative jedoch erfolgreich eingedämmt werden. Schließlich hatte Schwarz der Belagerung des Bauern c5 wenig entgegenzusetzen und der Fehler 21… Tc5: besiegelt in bereits unerfreulicher Lage den schwarzen Untergang. Ein schöner Kurzsieg von Jan in einer sehr erfolgreichen Saison!
In der Partie Hansen – Edouard kam in einem Damengambit eine wenig dynamische Isolani-Struktur aufs Brett. Das aktive schwarze Figurenspiel, das sich insbesondere auf den Punkt e4 stützt, reichte hier aus, um die Partie im ungefährdeten Gleichgewicht zu halten.
Die Weichen auf Sieg für Solingen wurden sodann in der Partie Huschenbeth – Naumann gestellt. Nachdem sich beide Seiten in einem Abtausch-Spanier 15 Züge lang nach bewährten Mustern aufgebaut hatten, verfiel Weiß statt des üblichen 16. ab6: gefolgt von 17. Sg3 oder 17. b3 auf die eigenartige Idee, mit dem etwas konzeptionslos wirkenden Zug 16. Lf4 abzuweichen. Nach 21… Sf5 ist Schwarz bereits spürbar im Vorteil. Auf 22. Lf2 würde gh4: gefolgt von 23… Lh6 folgen. Später verteilte Alexander mit 26… Lg7 (statt Kc6 mit Gewinnstellung nach z.B. 27. Tg5: Lg7 28. Th8: Ld4+) noch ein unnötiges Geschenk: Jetzt könnte Weiß mit 27. Te7+ Kc6 28. Tg7: Kd5: 29. Tg5:+ Kc4 30. Tg3: b3 31. f4 in einem immer noch schlechteren Turmendspiel wieder ums Remis kämpfen.
Somit stand es bereits 3½:1½ bei drei weiteren besseren Stellungen.
Kurz nach der Zeitkontrolle sicherte die Partie Müller – Ragger dann den Mannschaftssieg für Solingen. Mit 4. Lb5 und 5. 0-0 wählte Weiß in einem Vierspringerspiel keine sehr schneidige Variante. Im weiteren Verlauf kompensierte die etwas bessere Entwicklung des Weißen zunächst das schwarze Läuferpaar. Im Mittelspiel schlugen jedoch die weißen Versuche, ein Spiel auf der Diagonalen a1-h8 aufzuziehen, fehl und nach 23… Sd4 wurde klar, dass der Vorteil auf Schwarz übergegangen ist. Nach dem ungenauen 30… Ld5: 31. cd5: Td5: statt des besseren 30… Td5:! 31. cd5: Ld5: 32. Lf4 De7 und weiter klarem Vorteil erhielt Weiß die Chance, die Partie mit 32. Kf1 Td8 33. ef5: Df5: 34. Df5: gf5: 35. Te7 d3 36. Ke1 = zu halten.
Später gab es nach 34… De4 (besser Lf6!) noch eine zweite Chance : 35. De4: fe4: 36. Kg1 Kg8 37. Lb8 d3 38. Kf1 Lc3 39. La7: La5 40. Lb8. Ob Weiß dieses Läuferendspiel tatsächlich halten kann, kann nur eine ausführliche Analyse klären. Klar ist aber, dass in der Partie das Endspiel für Weiß nach Ld8 hoffnungslos geworden ist, da auf diese Weise der weiße d-Bauer aufgehalten wird und gleichzeitig der schwarze Damenflügel unangreifbar geworden ist.
Nur wenig später endete die Partie Ernst – Heinemann mit einem weiteren Weißsieg. In einem Nimzowitsch-Inder stand hier nach kreativer Eröffnungsbehandlung nach nur 8 Zügen eine völlig unbekannte Stellung auf dem Brett. Als Schwarz die beiden Gelegenheiten im Mittelspiel verpasste, entweder mit 14… Sd4: 15. Sd4: Lc5 16. Lh6 Ld4:+ 17. Kh1 Le5 18. Sg5 Te8 19. Sf3 Sg4 unklar oder nach 15. Lh6 (c5 war die bessere Zugfolge) mit ed4: 16. Lf8: Lf8: 17. Sg5 Lh6 und jeweils völlig unklare Lage die Qualität zu opfern, bekam er von „Spike“ keine weitere Chance. Nach 16. c5 bahnte sich ein heftiger Angriff auf den nur unzureichend geschützten schwarzen Monarchen an, und im weiteren Verlauf hätte Schwarz nach etwa 22. Dh6: getrost die Segel streichen können.
Die letzte Partie, Hoffmann – Van Delft, war eine Partie der verpassten Chancen. Nachdem Schwarz hier in einer ruhigen Königsindisch-Partie beginnend mit 11… Lg4 einen strategisch zweifelhaften Plan wählte, konnte sich der Weiße im Mittelspiel eines stabilen Vorteils erfreuen. Verwunderlich, dass trotz genügender Bedenkzeit die Partie nicht nach dem 35. Zug mit dem wenig fernliegenden Zug 36. T1e4 (wahlweise T1e5) entschieden worden ist. Nach weiteren Ungenauigkeiten war das Endspiel nach 46… Ke6 trotz zweier Mehrbauern nicht mehr elementar gewonnen. Überraschend machte sich später mit 64. Te3 (Kd5=) jedoch der letzte Gewinnversuch in einem inzwischen zum Remis verpatzen Endspiel bezahlt. Die letzte schwarze Remischance nach 72. Tg6? (Tf8=) soll dabei außer Betracht bleiben.
Mit einem 6½:1½ also insgesamt ein versöhnlicher Abschied der Solinger einer überaus erfolgreichen Saison. Sollte in der nächsten Saison gegen die Spitzenteams jeweils Bestbesetzung zur Verfügung stehen, dürfte der Titelkampf vielleicht noch ein wenig spannender werden.
Bis dahin!
Michael Hoffmann