Das Phänomen ist aus allen Mannschaftssportarten bekannt: In Lokalderbys, Pokalspielen oder Finalbegegnungen gelingt es Teams immer wieder, ganz besondere Leistungen abzurufen. Manchmal ist aber auch der gegenteilige Effekt zu beobachten, dass die Mannschaften nicht einmal an ihre übliche Leistungsstärke anknüpfen können. Ein aktuelles Beispiel für die zweite Alternative lieferte heute leider unser Europacup-Sextett, das völlig verdient nach der mit Abstand schwächsten Turnierleistung im Prestigeduell gegen die Schachfreunde Berlin mit 1½:4½ unterlag. Die Niederlage hätte sogar noch höher ausfallen können, denn der Sieg von Thomas Michalczak und das Remis von Markus Schäfer kamen auch erst mit einigen Schwierigkeiten zustande.
Grundsätzlich war im ersten internationalen Duell der beiden Vereine, die regelmäßig die deutschen Farben mit verstärkten Amateurteams beim Europapokal vertreten, ein Duell auf Augenhöhe zu erwarten gewesen, da die beiden Mannschaften direkte Setzlistennachbarn waren. Doch bereits frühzeitig drängte sich der Eindruck auf, dass die Dinge nicht in unserem Sinne verlaufen sollten. Am dritten Brett war Thomas Michalczak mit Schwarz in einer Damengambit-Abtauschvariante bei heterogenen Rochaden heftig unter Druck geraten, doch sein Kontrahent FM Dr. Joachim Wintzer (2332) opferte zu schnell eine Figur, so dass Tom mit präziser Verteidigung den Angriff abwehren und schließlich die Oberhand behalten konnte.
Wer sich von dieser schmeichelhaften Führung nun eine Wende erhofft hatte, wurde leider enttäuscht. Alexander Naumann versuchte es am Spitzenbrett erneut mit Grünfeld-Indisch, gegen das IM Arnd Lauber (2446) wie schon einige Runden zuvor Dr. Hübner die 5. Ld2-Variante wählte. Zunächst schien sich die Partie im dynamischen Gleichgewicht zu befinden, doch im Mittelspiel griff Alex fehl und ging bald an der weißen Aktivität in Verbindung mit seiner schlechten Königsstellung zugrunde. Dies war für ihn die dritte Niederlage in der dritten Begegnung mit Lauber, der damit seine Chancen auf seine letzte GM-Norm bei diesem Turnier wahrte.
Zwei weitere glatte Niederlagen setzte es an den hinteren Brettern: Dr. Axel Scheffner hatte mit Schwarz in einer Caro-Kann-Vorstoßvariante gegen Robert Glantz (2259) eine zweischneidige Position auf dem Brett, in dem sich leider die weiße Aktivität und die gefährdete Position des schwarzen Monarchen im Zentrum als wichtiger als die weißen strukturellen Schwächen erwiesen. Andreas Peschel agierte gegen FM Christoph Nogly (2231) ziemlich ambitions- und ideenlos, erhielt jedoch eine unerwartete Chance, als Nogly mit Schwarz etwas zu optimistisch die Initiative erreichen wollte. Doch Andreas ließ die Chance ungenutzt und stellte stattdessen im nächsten Zug die Partie ein.
Sehr interessant war das Duell am zweiten Brett, wo mit dem Präsidenten und Vize-Präsidenten der Schachbundesliga die beiden vermutlich spielstärksten Schach-Funktionäre Deutschlands aufeinander trafen. Markus Schäfer versuchte es gegen den Drachen von GM Rainer Polzin (2469) betont positionell und verpasste nach einem interessanten Manöver des Berliner Rechtsanwalts die einmalige Chance auf Vorteil, wonach er sich zäh verteidigen musste, um noch mit einer Punkteteilung davon zu kommen. Ein solcher Teilerfolg war Milon Gupta nicht vergönnt, nachdem ihm gegen FM Jan Lundin (2276) in einem Botwinnik-System der englischen Eröffnung durch ein hübsches taktisches Scharmützel eine Figur gegen zwei Bauern abhanden gekommen war, wonach die Partie nicht mehr zu halten war, so dass das ernüchternde 1½:4½ feststand.
Auch die Teams der anderen SG-Spieler hatten nicht ihren besten Tag: Bosna Sarajewo trennte sich vom tschechischen Top-Team Novy Bor 3:3, wobei die weiterhin absolut überzeugenden Markus Ragger und Predrag Nikolic zwei Remisen gegen Radoslav Wojtasek (2704) und Zbynek Hracek (2624) beisteuerten. Michael Hoffmann durfte gegen das isländische Team von Bolungarvik erstmals am Spitzenbrett von Ans antreten und holte gegen IM Stefan Kristjansson (2485) immerhin eines der beiden Remis bei der 1:5-Niederlage. Auch das Schweizer Team SF Reichenstein unterlag den favorisierten Kroaten vom ZSK Maribor knapp mit 2½:3½, wobei Lorenz Drabke ein Remis gegen GM Juri Skoberne (2547) erreichen konnte.
Somit besteht für die morgige 6. Runde eindeutig Steigerungsbedarf, wobei unsere Eurofighter mit dem finnischen Team von Tammer Shakki keine leichte Aufgabe erwartet.
Weitere Infos auf der Turnierseite.
Zum Bericht bei den Schachfreunden Berlin.