Michael Hoffmann als Matchwinner gegen Remagen

Bereits die erste Runde bot dem Team und den Anhängern unserer I. Mannschaft einen Vorgeschmack auf die wohl härteste Bundesliga-Saison, in der es zahlreiche Duelle auf Augenhöhe und extrem viele enge Kämpfe geben wird. Im exzellenten Ambiente der RWE-Sporthalle in Mülheim bei der erstmalig durchgeführten zentralen Auftaktrunde der Schach-Bundesliga gab es für den Achter von Steuermann Herbert Scheidt gegen 22.00 Uhr ein Happy End, als Michael Hoffmann gegen GM Petar Popovic (2485) den entscheidenden vollen Zähler zum 4½:3½-Erfolg im Duell mit Reisepartner Remagen erzielen konnte. Eine Stunde vorher hatte Predrag Nikolic den ersten Solinger Sieg der neuen Saison gegen GM Robin Swinkels (2494) eingefahren und damit den Rückstand ausgeglichen, der durch die Niederlage von Alexander Naumann gegen IM Benjamin Bok (2488) entstanden war.

Die 32. Saison der Schach-Bundesliga wartet nicht nur mit der stärksten Besetzung, sondern zahlreichen weiteren Neuerungen auf. Endlich konnte die Idee der zentralen Auftaktrunde, die bereits vor vielen Jahren maßgeblich vom damaligen Liga-Sprecher  Christian Zickelbein entwickelt worden war, unter der Ägide von Schachbundesliga-Präsident Markus Schäfer in die Tat umgesetzt werden. Dies wurde durch das außerordentliche Engagement des Vereinsboß des SV Mülheim Nord, Heinz Schmitz, ermöglicht, der in diesem Jahr nicht nur seinen eigenen 80. Geburtstag, sondern auch das 80jährige Jubiläum seines Vereins, den er bereits seit 29 Jahren lenkt, feiern konnte. Aus diesem Anlaß stellten die Mülheimer in der RWE-Sporthalle eine tolle Veranstaltung auf die Beine, in der neben Weltklasseschach noch viele andere Angebote im Rahmenprogramm wie eine Simultan-Veranstaltung von Schach-Legende Viktor Kortschnoi, die Live-Kommentierung der einzelnen Runden, Blitzturniere und diverse Jugendmannschaftskämpfe  eine exzellente Werbung für das Schach in Deutschland bedeuteten.

Sehr schön war in diesem Zusammenhang auch die Neuerung, dass fast alle Teams erstmals in einheitlichem Outfit auftraten, so dass man selbst beim Blick von den Tribünen der Halle auf das allgemeine Gewusel des großen Spielareals »seine« Mannschaft schnell identifizieren konnte. Auf unser erstmals in den blauen Hemden der Egon Evertz KG auflaufendes Team wartete in der Auftaktrunde Reisepartner SC Remagen. Die Mannschaft von Peter Noras ist in Bestbesetzung einen Platz vor uns in der Setzliste der Bundesliga auf Rang Fünf zu finden, hatte aber in den vergangenen Spielzeiten immer wieder Probleme, die optimale Aufstellung an die Bretter zu bringen, so dass im Vorjahr der Klassenerhalt erst am letzten Spieltag gesichert werden konnte, als man in einem Kraftakt mit nur 6 Spielern die Mannschaft unserer Partnerstadt Aue mit 5½: 2½ bezwingen konnte.

In dieser Spielzeit wird es noch bedeutend schwerer werden, wenn man erst einmal am Tabellenende festhängt, so dass wir zum Auftakt ein sehr gut besetztes Team aus Remagen erwarteten. Diese Vermutung wurde erfüllt, auch wenn  Vasily Ivanchuk  nach dem kräfteraubenden Grand Prix-Finale in Sao Paulo und Bilbao, in dessen Rahmen seine Frau und er in Brasilien auch noch überfallen worden war, nicht den Weg nach Mülheim gefunden hatte. Doch sonst hatte Peter Noras sieben Spieler seiner Top 10 aufgeboten, so dass wir nur mit sehr geringen Elo-Vorteilen in das Match gingen.

Die erste beendete Partie der gesamten Runde gab es in der Begegnung zwischen GM Alexander Dgebuadse (2544) und Erwin L’ Ami, in der eine lange Hauptvariante in der klassischen Caro-Kann-Verteidigung mit 4… Lf5 wiederholt wurde, bevor im 22. Zug in völlig ausgeglichener Position Frieden geschlossen wurde. Wesentlich mehr Bedenkzeit in ihre 22 Züge investierten Daniel Stellwagen und GM Alexander Goloschtschapow (2590). Jedoch gelang es Daniel niemals, gegen die grundsolide französische Rubinstein-Variante des Ukrainers mehr als den üblichen mikroskopischen Vorteil zu erreichen und er offerierte deshalb die Punkteteilung. Weitaus komplizierter stellten sich die Dinge dagegen am Spitzenbrett dar, wo Markus Ragger bei seiner Premiere als Teamleader mit Schwarz gegen GM Tigran Gharamian (2676) anzutreten hatte. Im Short-System der Caro-Kann-Vorstoßvariante entwickelte der naturalisierte Franzose eine sehr unangenehme Initiative am Königsflügel, so dass die schwarze Stellung einen verdächtigen Eindruck machte und der Friedensschluss ein wenig überraschend kam, auch wenn sich Markus später sicher war, zum Zeitpunkt des Remisangebots seine zwischenzeitliche Probleme bereits überstanden zu haben.

Folglich ging es mit einem Zwischenstand von 1½: 1½ in die Zeitnotphase, in der die größten Solinger Hoffnungen auf Michael Hoffmann ruhten. Denn sein Gegner GM Petar Popovic (2485), der gegen Grünfeld-Experte Hoffmann dessen Lieblingsverteidigung angewandt hatte, lebte bereits ungefähr ab dem 20. Zug fast nur noch von seinem 30-Sekunden-Bonus, so dass er in einer für Weiß angenehmer zu spielenden Stellung vor einer sehr undankbaren Aufgabe stand. Tatsächlich unterlief ihm im 25. Zug ein taktischer Patzer, der Michael auf die Siegerstraße hätte bringen können. Doch leider übersah er die kleine Kombination, spielte aber in der Folge sehr kreativ, öffnete unter Bauernopfer eine weitere Diagonale gegen den schwarzen König und brachte den Serben in immer größere Bedrängnis, so dass Hoffi wohl nach der Zeitkontrolle die Früchte seines energischen Vortrags hätte ernten können. Allerdings wählte er unter zwei Optionen die Falsche und verzichtete auf das entscheidende Damenschach auf e4, so dass die Stellung letztlich nach diversen Abtäuschen in ein Leichtfigurenendspiel mit Läufer gegen Springer mündete, dass für Michael nur minimal vorteilhaft war.

An den Brettern 2 und 3 waren etwaige Solinger Feldvorteile sogar nur mikroskopischer Natur. Der britische GM und Buchautor Gavain Jones (2624) hatte bei seinem Bundesliga-Debüt gegen Jan Smeets die altehrwürdige Hauptvariante im Italiener mit 7. Ld2 gewählt, konnte jedoch auch mit der theoretischen Nuance 11. Tc1 nichts aus der Eröffnung herausholen, so dass die gesamte Partie vollkommen ausgeglichen verlauf, bevor beide im 47. Zug im totremisen Bauernendspiel die Hände schüttelten. Sandipan Chanda hatte mit den weißen Steinen gegen GM Sergej Fedorchuk (2635) nach ebenfalls sehr ausgeglichenem Partievorlauf eine minimal bessere Struktur im Turmendspiel erreicht und fragte die Technik des Ukrainers auch bis zur theoretischen Remisstellung ab, wobei sich Fedorchuk jedoch erwartungsgemäß keine Blöße gab, was die fünfte Punkteteilung bedeutete.

Dass die aus der Klingenstadt angereisten Fans nach fünf Remisen und der ausgelassenen Chance am achten Brett richtig nervös wurden, lag an der Entwicklung der Ereignisse bei Alexander Naumann, der mit Schwarz gegen den jungen IM Benjamin Bok (2488) antreten musste, der zuletzt beim Europapokal eine GM-Norm übererfüllt hatte. Alex wählte die grundsolide Berliner Verteidigung im Spanier und der Niederländer konnte trotz des Herunterblitzens einer Theorievariante keine Vorteile erzielen. Vielmehr schien Alexander langfristig sein Läuferpaar zur Geltung bringen zu können, verpasste jedoch in beiderseitiger Zeitknappheit die exakteste Fortsetzung und gestand dann beim Übergang in ein Turmendspiel dem weißen König viel zu große Aktivität zu, so dass es schließlich zu einem ungewöhnlichen Mattbild bei stark reduziertem Material kam und Alexander sehr enttäuscht aufgeben musste.

Folglich mussten beim Zwischenstand von 2:3 und dem sich eindeutig abzeichnenden Remis bei Sandipan noch zwei Siege her, wenn die Saison mit einem Erfolg begonnen werden sollte. In derartigen Situationen freut man sich in Solingen immer wieder aufs neue, einen Weltklasse-Techniker wie Predrag Nikolic in den Reihen zu haben. In schöner Regelmäßigkeit bekommt man von Mitspielern wie Schlachtenbummlern eine Aussage wie »objektiv ist die Position völlig Remis, aber es ist eine Predrag-Stellung« zu hören, hinter der sich der geballte Optimismus verbirgt, wenn der Bosnier eine meist trockene Position mit minimalem Vorteil bearbeitet. Diesmal hatte der bereits seit 13 Jahren im Solinger Kader stehende Nikolic gegen GM Robin Swinkels (2494) mit der Hilfe seines bis nach a6 vorgerückten Randbauern ein ungewöhnliches Springerpaar auf b7 und d6 installiert, welches das schwarze Läuferpaar ziemlich paralysierte und den Türmen wertvolle Felder nahm. Dies nutzte Predrag zu einer gefährlichen, von seiner Dame und dem Vorrücken seiner Bauern unterstützten Initiative am Königsflügel. Schließlich musste Swinkels dem immensen Druck in der Verteidigung Tribut zollen und verpasste einen entscheidenden Zwischentausch im 48. Zug, der ihm aufgrund einer taktischen Ressource exzellente Verteidigungschancen eingeräumt hätte. So konnte der weiße g-Bauer den schwarzen Königsflügel entscheidend öffnen, was entscheidenden Materialverlust zur Folge hatte.

Beim Stande von 3½: 3½ kam es dann zum Showdown am achten Brett, wo Michael Hoffmann den Vorteil der besseren Leichtfigur in Verbindung mit dem aktiveren König so effektiv nutzte, dass Popovic letztlich bei knapp werdender Bedenkzeit kein Mittel gegen den Marsch des weißen Monarchen zum Damenflügel fand, so dass letztlich der letzte verbliebene Bauer auf der a-Linie die Partie und den Kampf entschied. Der Matchwinner war danach verständlicher Weise bester Laune und gab entspannt zu Protokoll, dass er die taktischen Chancen im Mittelspiel doch nur ausgelassen habe, um endlich einmal seine Endspieltechnik demonstrieren zu können…

Nach diesem idealen Auftakt und dem umgebogenen Rückstand gab dann Erwin L’Ami für den Spitzenkampf am Samstag gegen Eppingen die optmistische Marschroute vor: »Of course they are very strong, but our team is extremely tough and we are very hard to beat!«

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