Unser Bundesliga-Team hat mit einem unerwartet hohen 5½: 2½ das Spitzenspiel gegen den SC Eppingen gewonnen und sich damit erst einmal in den oberen Tabellenregionen festgesetzt. Das klare Ergebnis täuscht allerdings über den Kampfverlauf hinweg, in dem sich die beiden letztjährigen Tabellennachbarn ein extrem enges Match boten, das alles bereit hielt, was Bundesliga-Schach so spannend macht. Vor der Zeitkontrolle waren dabei vor allem Sandipan Chanda und Predrag Nikolic mit Fortuna im Bunde, als sie jeweils mit den weißen Steinen gegen Ferenc Berkes (2706) und Falko Bindrich (2548) zwischenzeitlich klar auf Verlust standen. Doch in der Zeitnotphase wendete sich das Blatt und beide konnten später ihre leicht besseren Stellungen noch zum Sieg führen, bevor Jan Smeets mit den schwarzen Steinen in der vielleicht besten Partie des Kampfes gegen Viorel Bologan den krönenden Schlusspunkt setzte.
Neben dem absoluten Topspiel zwischen Gastgeber Mülheim und Serienmeister Baden Baden hielt der zweite Spieltag mit unserem Duell mit dem SC Eppingen ein weiteres Spitzenspiel bereit, in dem der Vorjahresdritte und -vierte aufeinandertrafen. Teamchef Hans Dekan hat sein bereits im Vorjahr exzellent auftrumpfendes Team noch um die beiden Weltklasse-Spieler Pentala Harikrishna und Viorel Bologan ergänzt, so dass die Mannschaft aus der Fachwerkstadt in diesem Jahr wieder als ein Topkandidat auf die Medaillenplätze anzusehen ist. Die psychologische Ausgangslage war dabei nahezu identisch, da Eppingen am Vortag einen ebenso wie wir einen hart erkämpften 4½:3½- Erfolg gegen Hockenheim erzielt hatte. Dabei hatte am achten Brett noch Routinier Lothar Vogt für den letzten halben Zähler gesorgt, der jedoch für das heutige Spitzenduell durch den Ungarn Robert Ruck (2579) ersetzt wurde. Die Überraschung bei Michael Hoffmann hielt sich jedoch in Grenzen, da die Eppinger im gleichen Hotel wie unsere Mannschaft wohnten und Ruck bereits beim Früstück gesichtet worden war.
Viel außergewöhnlicher war die Tatsache, dass die auf dem Bundesliga-Live-Portal mitlaufenden Engines in einem Spitzenkampf, wo sonst häufig ein sehr großes Abtasten vorherrscht, bereits nach ca. zwei Stunden an zwei Brettern sehr großen Vorteil anzeigten. Erwin L’Ami konnte sich später selbst nicht erklären, warum er gegen Evgenij Postny (2622) mit Schwarz eine sehr verdächtige Nimzo-Indisch-Variante gewählt hatte, die zwar häufig als Remisvariante wegen einer Dauerschach-Schaukel eingesetzt wird, aber bereits seit 50 Jahren nach einer klassischen Gewinnpartie von Paul Keres gegen Boris Spasski als für Schwarz gefährlich gilt, wenn Weiß einfach mit 2 Minusbauern weiterspielt. Dies tat auch Postny und erhielt den üblichen immensen Entwicklungsvorsprung, der in Verbindung mit dem weißen Läuferpaar und dem in der Brettmitte feststeckenden schwarzen König zu klarem weißen Vorteil führte. Zu dessen exakter Verwertung wären aber auch einige Computer-Züge notwendig gewesen, die Postny nicht immer fand, so dass Erwin sich letztlich konsolidieren konnte und mit einem Dauerschach davon kam. Umgekehrtes Bild im deutschen Duell am siebten Brett, wo Arik Braun (2560) in der russischen Variante gegen den Grünfeld-Inder von Alexander Naumann etwas optimistisch mit der Dame auf b7 genommen hatte, was Alex exzellente Chancen gegen den im Zentrum verbliebenen weißen König bot. Doch in den hochtaktischen Varianten traute er seinen Rechenkünsten nach der unglücklichen Vortagesniederlage nicht hundertprozentig und schob mit 16… h6 noch einen Sicherheitszug für den eigenen König ein, nach dem sich der ehemalige Deutsche Meister und U18-Weltmeister jedoch konsolidieren konnte, so dass die Partie nach Zugwiederholung ebenfalls Remis endete.
Bedeutend solider und weniger aufregend ging es im Duell zwischen Daniel Stellwagen und Zoltan Gyimesi (2646) zu, der den für Daniel eher ungewöhnlichen d4-Aufschlag mit der Semi-Tarrasch-Verteidigung gekontert hatte. Es entstanden die typischen Stellungsbilder mit imposantem weißem Zentrum und Raumvorteil und der andererseits völlig soliden schwarzen Position. Im Endeffekt war das Gleichgewicht niemals ernsthaft gestört und die Partie endete in einem Damenendspiel mit jeweils einer Leichtfigur kurz vor der Zeitkontrolle durch Dauerschach Remis. Der nächste Friedensschluss war dann bei Michael Hoffmann zu verzeichnen, der erneut gegen Grünfeld-Indisch anzutreten hatte und in einer der Hautvarianten des 5. Db3- Komplexes eine Idee von Alexander Morosewitsch testete. Doch Roman Ruck (2579) zeigte sich gut präpariert, blockierte Michaels Freibauern auf der c-Linie zuverlässig, so dass es auch hier bald kein Weiterkommen gab und die Partie ebenfalls durch Zugwiederholung endete.
Alle anderen Begegnungen gingen in diesem umkämpften Match in die fünfte Spielstunde und boten in der Zeitnotphase weitere Aufregungen. Am Spitzenbrett lieferten sich Pentala Harikrishna (2672) und Markus Ragger ein Theorieduell in einer der weit ausanalysierten Slawisch-Hauptvarianten, in der sich der Inder mit einer Nuance zumindest großen Zeitvorteil sichern konnte. Doch objektiv versprach die Stellung keinen Vorteil, war aber aufgrund der Ungleichgewichte mit weißem Mehrbauern im Gegenzug zu zwei schwarzen Freibauern am Damenflügel bei reduziertem Material sehr interessant. Letztlich setzte sich die Remistendenz der ungleichfarbigen Läufer durch und mit nur noch jeweils einem Springer schlossen die beiden Frieden. Die Vorentscheidung des Kampfes fiel dann innerhalb weniger Minuten in den Zeitnotduellen an den Brettern 2 und 6. Sandipan Chanda hatte in der aus einer englischen Eröffnung hervorgegangenen damenindischen Struktur gegen den stärksten Vertreter der großen ungarischen Fraktion bei Eppingen, Ferenc Berkes (2706), absolut nichts herausgeholt und sah sich bereits unangenehmem Druckspiel gegen seinen rückständigen Bauern auf e3 ausgesetzt, als er mit dem Durchsetzen von e4 drastische Maßnahmen ergriff, die jedoch taktisch inkorrekt war. So konnte der Ungar durch ein Qualitätsopfer absolute Kontrolle über die lange Diagonale h1-a8 erlangen, was zwingend zum Verlust hätte führen müssen. Doch glücklicher Weise übersah Berkes genau den gleichen entscheidenden Doppelangriff, der auch Sandipan in der Vorausberechnung der langen Variante entgangen war. So konnte unser indischer Vorkämpfer seinen König in Sicherheit bringen und zudem die Damen abtauschen, so dass er bei einer Mehrqualität gegen zwei Bauern bereits optimistisch das gegnerische Remisangebot im 41. Zug ablehnte.
Fast parallel konnte unser Routinier Predrag Nikolic noch gegen Falko Bindrich (2548) entkommen. In einer komplexen Reti-Position hatte Predrag eine Qualität geopfert, um mit seinem Läuferpaar agieren und vor allem den unangenehmen Druck gegen seinen eigenen Monarchen lindern zu können. In der Blitzphase öffnete Falko dann mit einem Figurenopfer sehr chancenreich die Linien gegen den König und konnte, als Predrag daneben griff, im 39. Zug gewinnen. Bindrich ging jedoch an dieser Chance vorbei, so dass Predrag die Stellung wieder unter Kontrolle bringen konnte und schließlich mit seinem Läuferpaar gegen den schwarzen Turm eine technisch gewonnene Stellung besaß. In der Folge gelang es ihm, mit den Läufern entscheidend Material am Damenflügel zu gewinnen und die dortigen Freibauern zum Sieg zu führen, ohne dass Schwarz hinreichende Gegendrohungen mit seinen Schwerfiguren gegen den weißen Turm hätte erzeugen können.
Auch Sandipan konnte den verbliebenen schwarzen Turm abtauschen, wonach die schwarze Stellung sehr schwer zu verteidigen war. Sandipan zeigte in dieser Phase gute Technik und konnte schließlich nach 64 Zügen die Gratulationen zum entscheidenden Sieg entgegen nehmen. Der Schlusspunkt gebührte danach allerdings völlig zurecht Jan Smeets, der mit Schwarz gegen Viorel Bologan (2656) die wohl beste Partie des Tages ablieferte. Der Moldavier gilt es kompromißloser Kämpfer und hatte am Vortag in einer spektakulären Partie gegen David Baramidze den entscheidenden Sieg für Eppingen erzielt. Insofern wählte Jan taktisch geschickt die russische Verteidigung, gegen die Bologan das heute etwas aus der Mode gekommene 3. d4 wählte. In der Folge opferte Jan einen Bauern, erhielt dafür aber das Läuferpaar und eine relativ statische Stellung mit besserer Figurenaktivität, so dass ähnlich wie in manchen spanischen Marschall-Stellungen der weiße Material-Vorteil absolut bedeutungslos war. In der Zeitnotphase entstand schließlich ein Doppelturmendspiel mit ungleichfarbigen Läufern, in dem Jan seinen König mustergültig aktivieren konnte. Er opferte eine Qualität für den einzigen gefährlichen weißen Freibauern und brachte anschließend mittels der exzellenten Koordination seines Läufers und Königs seine zwei Freibauern entscheidend zur Geltung, so dass Bologan nur noch in ein verlorenes Endspiel mit Turm gegen Turm und Bauer abwickeln konnte.
Es bleibt Jan zu wünschen, dass dieser Sieg nach seiner letztjährigen Formkrise in diesem Jahr wegweisend für eine tolle Saison sein wird. Insgesamt muss aber die gesamte Mannschaft gelobt werden, die sich mit einer kompakten Vorstellung und der guten technischen Verwertung der vorteilhaften Stellungen nach der Zeitkontrolle sich die Mithilfe der Glücksgöttin in der Zeitnotphase redlich verdiente.