Ein schöneres vorgezogenes Weihnachtsgeschenk hätte unser Bundesligateam ihrem Chef Herbert Scheidt wohl kaum machen können. Mit einem in dieser Höhe völlig unerwarteten 6½:1½ gegen die Schachfreunde Berlin lieferte die Mannschaft im letzten Kampf vor der Winterpause ihre vielleicht beste Saisonleistung und liegt nach der ersten Saisonhälfte mit sehr zufriedenstellenden 11:3 Zählern auf dem dritten Platz der Tabelle. Nachdem Predrag Nikolic von einem Aussetzer seines Kontrahenten profitiert hatte, freute sich die ganze Mannschaft vor allem über den ersten Bundesliga-Sieg von Mads Andersen, während Markus Ragger, Artur Jussupov und Alexander Naumann für die anderen vollen Zähler sorgten.
Vor dem Wochenende hatten wir die Berliner als die nominelle schwierigere Aufgabe eingeschätzt. Schließlich haben sich die Hauptstädter um Rainer Polzin vor der Saison enorm verstärkt und bereits am ersten Wochenende mit dem 6:2 gegen Werder Bremen einschließlich Überraschungs-Einsatz von Levon Aronian für einen Paukenschlag gesorgt. So waren wir gewarnt, auch wenn ein Einsatz des armenischen Weltranglisten-Zweiten aufgrund der parallel laufenden London Chess Classics ausgeschlossen war. Dennoch blieben die Schachfreunde ihrer Taktik treu und änderten von Samstag auf Sonntag wieder auf einer Position die Aufstellung. Für den pausierenden »Zoo-Direktor« Ilja Schneider rückte Lars Thiede (2458) ins Team.
Jener Lars Thiede sorgte auch für die spektakulärste Eröffnungsphase des Kampfes, als er mit Schwarz gegen Mads Andersen in einer sehr dynamischen Modern Defence frühzeitig seine Dame gegen zwei Leichtfiguren und zwei Bauern opferte. Die anderen Partien verliefen deutlich konventioneller und bereits nach zwei Stunden gab es die erste Punkteteilung zu verzeichnen. Der in Solingen als Sieger des Jürgen Dueball-Gedenkturniers im Jahre 2005 sehr bekannte Rafal Antoniewski (2585) wählte gegen die Caro-Kann-Verteidigung von Erwin L’ Ami die ruhige Zweispringervariante und nach 20 Zügen wurde in ausgeglichener Position nach Zugwiederholung der Punkt geteilt. Nur wenig später kam es dann fast aus dem Nichts zur unerwarteten Führung: Andrei Maksimenko (2553) unterlief in nur minimal schlechterer Stellung gegen Predrag Nikolic ein schwerwiegender Rechenfehler, der ihm eine Figur kostete.
So ging es mit einer beruhigenden Führung in die Zeitnotphase, in der unsere Mannschaft ähnlich gute Nerven wie am Vortag zeigte. Lediglich Spitzenbrett Markus Ragger hatte am Samstag seinen Vorteil in dieser Phase verdorben; heute machte er es bedeutend besser. Mit Schwarz hatte er gegen den Aronian-Schüler Hrant Melkumyan (2619) in einem Halbslaven komfortablen Ausgleich erreicht und ging bereits mit leichter Initiative in einem Schwerfigurenendspiel in die Blitzphase. Dort griff der Armenier daneben, verlor einen Bauern und ließ auch noch den Abtausch aller Figuren zu, so dass Markus mit dem 41. Zug dank eines völlig gewonnenen Bauernendspiels die Gratulation zu seinem ersten Sieg am Spitzenbrett entgegen nehmen konnte. Wenig später sorgte dann Routinier Artur Jussupow für die Vorentscheidung. Mit Schwarz hatte er sich gegen Arnd Lauber (2464) für das sehr solide Hübner-System im 4.e3-Nimzo-Inder entschieden und demonstrierte danach eindrucksvoll, warum er als einer der größten Experten in diesen Rubinstein-Stellungstypen gilt. Nach einem taktischen Versehen von Lauber im 27. Zug ließ er dem ambitionierten GM-Anwärter keine Chance mehr und avancierte mit seinem zweiten Sieg zum Solinger Topscorer des Wochenendes.
Da Artur sich inzwischen deutlich mehr als Trainer denn als Spieler sieht, dürfte es ihm eine besondere Freude gewesen sein, dass sein Schüler Mads Andersen schließlich den entscheidenden Siegtreffer zum 4½: ½ erzielte. Der talentierte Däne zeigte sich von der unglücklichen Niederlage am Vortag unbeeindruckt und verbesserte seine aufgrund der ungewöhnlichen Materialverteilung definitiv nicht einfach zu spielende Position sukzessive, so dass auch der erfindungsreiche Thiede die Stellung schließlich nicht mehr halten konnte.
Der letzte Sieg des Tages ging dann schließlich auf das Konto des gewohnt zuverlässigen Alexander Naumann, der gegen die Nimzo-Indische Verteidigung von Stephan Berndt (2441) stets einen kleinen Vorteil bewahrte und in der Zeitnotphase die Stellung entscheidend für sein Läuferpaar öffnen konnte, so dass die schwarze Stellung bald nicht mehr zu halten war. In den beiden verbleibenden Partien wurden fleißig Turmendspiele geübt: Jan Smeets erinnerte sich vermutlich noch gut daran, wie sein Teamkollege Daniel Stellwagen einst gegen das junge Erfurter Spitzenbrett Martin Krämer eine heftige Niederlage einstecken musste. So legte er die Partie diesmal gegen den inzwischen kurz vor dem GM-Titel stehenden Krämer (2492) sehr technisch an und wählte die Spanische Abtauschvariante, aus der er schließlich ein Doppelturmendspiel mit Mehrbauer erreichte, was aber nicht zu gewinnen war.
Die alte Regel, dass Turmendspiele immer Remis sind, bestätigte sich auch im Juristen-Duell zwischen Rainer Polzin (2469) und Michael Hoffmann. Der Berliner Vorsitzende kämpfte lange verbissen um den Berliner Ehrentreffer, doch Michael verteidigte sich umsichtig und bleibt in dieser Saison ungeschlagen. So trat die gesamte Solinger Delegation nach einem schönen und erfolgreichen Wochenende bestens gelaunt die Heimreise aus der Hansestadt an und freut sich bereits auf das erste Februar-Wochenende, an dem die zweite Saisonhälfte vor heimischen Publikum in Solingen beginnt, wenn der langjährige Reisepartner aus Wattenscheid und der ambitionierte Aufsteiger von Hansa Dortmund in der Stadt-Sparkasse zu Gast sein werden.