Mit einem hart erkämpften 5:3-Sieg über die Sportfreunde Katernberg hat unser Bundesliga-Team mit 23:7 Zählern den anvisierten dritten Platz erreicht und damit seine sehr erfolgreiche Saison abgerundet. Nachdem Routinier Predrag Nikolic die Führung erzielt hatte, konnte Jan Smeets nach der zwischenzeitlichen Niederlage von Markus Ragger diese wiederherstellen. Held des Tages war aber eindeutig Jörg Wegerle, der nicht nur in der längsten Partie des Tages den letzten Sieg der Saison einfuhr, sondern sich zudem durch sein Wochenendprogramm das Prädikat »Marathon-Mann« mehr als verdiente.
Am gestrigen Abend hatte sich nämlich ein unerwarteter personeller Engpaß ergeben, nachdem Alexander Naumann aufgrund seiner Erkrankung vorzeitig die Heimreise antreten musste. Als kurzfristig verfügbarer achter Mann hätte sich Markus Schäfer angeboten, der am Samstag das Team noch in Mülheim unterstützt hatte, doch dieser befand sich bereits auf dem Weg nach Baden Baden, um dort seine Pflichten als Liga-Präsident wahrzunehmen. Also kontaktierte Teamchef Herbert Scheidt als Joker Jörg Wegerle, was sich auch anbot, da Jörg am Samstag in Hochneukirch am linken Niederrhein im Verbandspokal aktiv war. Die Krux an diesem Plan lag darin, dass Herbert Jörg erst am späten Abend erreichte, als dieser bereits wieder in Mannheim in der Nähe seines Wohnortes war… Doch Jörg ist nicht nur am Brett für seine Zähigkeit bekannt, bestieg am Sonntag gegen 6.00 Uhr morgens erneut den ICE Richtung Nordrhein-Westfalen und saß um 10.00 Uhr pünktlich in Mülheim am Brett!
Im Fernduell mit Eppingen um die Bronzemedaille waren wir dabei aber nicht die einzige Mannschaft, welche personelle Wechsel vornahm. Die Kraichgauer gewährten nach ihrem Husarenstück gegen Baden Baden Teamchef Hans Dekan und Jungtalent Alisa Frey einen Einsatz im letzten Saisonspiel und waren damit gegen die SG Trier in starker Aufstellung nicht favorisiert. Somit stiegen unsere Chancen, den geringen Brettpunktevorsprung zu verteidigen, sofern die Katernberger bezwungen werden konnten. Diese mussten zwar auf den in Baden Baden als Kommentator weilenden Klaus Bischoff oder das Essener Urgestein Sebastian Siebrecht verzichten, konnten dafür aber die gefährliche ukrainische Doppelspitze Volokitin/Kryvoruchko aufbieten. Außerdem waren wir natürlich auch in Anbetracht der exzellenten Saison der Essener mehr als gewarnt.
In der Folge entwickelte sich ein sehr zähes Ringen, in der innerhalb der ersten 3 Stunden sich an keinem Brett besondere Vorteile abzeichneten. Auffällig war nur der immense Bedenkzeit-Vorsprung des wie immer glänzend vorbereiteten Markus Ragger am Spitzenbrett, der als Schwarzer mit einer Innovation in der ebenso modernen wie scharfen Variante im Lc5-Spanier Andrei Volokitin (2686) sehr ins Grübeln brachte. In der vierten Spielstunde gab es dann die ersten Resultate zu verzeichnen: im Duell zweier langjähriger Münsteraner taten sich Michael Hoffmann und Matthias Thesing (2404) nicht besonders weh, so dass die Partie aus einer ruhigen Reti-Struktur heraus korrekt Remis endete. Zum gleichen Ergebnis kamen wenig später auch Ilja Zaragatski (2474) und Daniel Stellwagen. Hier entstand ebenfalls aus einer Reti-Eröffnung ein gänzlich anderer Stellungstyp mit Anleihen zum Wolga-Gambit im Anzug. Letztlich landeten beide in einem völlig ausgeglichenen Schwerfigurenendspiel, in dem keine Seite realistische Gewinnaussichten besaß.
Das nächste Remis musste dann Erwin L’Ami dem Überraschungs-Dritten der letzten deutschen Meisterschaft, Jens Kotainy (2407), zugestehen, nachdem er mit Weiß gegen dessen ultrasolide Stonewall-Verteidigung absolut nichts hatte herausholen können. Danach war jedoch die Zeit reif für die erste Entscheidung des Tages. Im Duell der beiden Team-Routiniers hatte Igor Glek (2408) gegen Predrag Nikolic wieder einmal sein Patent-System mit 4.g3 im Vierspringerspiel ausgepackt, verlor jedoch im Mittelspiel etwas den Faden. Dies erlaubte Predrag, einen mächtigen Springer dauerhaft auf d3 zu installieren, was in Kombination mit Igors extremer Zeitnot dazu führte, dass Predrag mit dem entscheidenden Vorstoß seiner Zentralbauern gewinnbringend Material gewinnen konnte.
Doch leider mussten wir kurz nach der Zeitkontrolle den sofortigen Ausgleich hinnehmen. Andrei Volokitin (2686) hatte in der komplexen Spanisch-Variante die ihm gestellten praktischen Probleme gut lösen können und schließlich ein Turmendspiel mit Mehrbauern erreicht, das jedoch aufgrund seines Doppelbauerns und der ungleichfarbigen Läufer gewisse Remischancen für Markus Ragger bot. Doch wieder einmal erwies sich die Stärke des besseren Läufers in Verbindung mit dem aktiveren König als entscheidend und Volokitin fügte Markus mit guter Technik dessen zweite Niederlage in dieser Saison zu.
Dafür entwickelten sich am 2.Brett die Dinge in unserem Sinne. Jan Smeets hatte gegen die Berliner Verteidigung von Yuri Krivoruchko (2666) ein etwas ungewöhnliches Endspiel in dieser Variante erreicht, in der Schwarz seinen Doppelbauern in der c-linie schnell wieder los wurde, dafür jedoch sein Läuferpaar aufgeben musste. Danach gelang es Jan sukzessive minimale Vorteile anzuhäufen, so dass er schließlich in einem Turm+Läufer gegen Turm+Springer-Endspiel einen Bauern gewinnen konnte und das Duell der Freibauern durch seine bessere Figurenkoordination und die bessere Leichtfigur für sich entscheiden konnte, was für seine suboptimale Saison zumindest ein versöhnliches Ende bedeutete.
Somit liefen beim Stande von 3½:2½ nur noch die beiden unteren Bretter. Dort gelang es zunächst unserem Youngster Mads Andersen, sein Endspiel mit Minusqualität gegen Dr. Christian Scholz (2387) durch zähe Verteidigung Remis zu halten. Der verdiente Schlusspunkt gebührte dann Jörg Wegerle, der kurioser Weise im Duell gegen die amtierende deutsche Damenmeisterin Sarah Hoolt (2286) die gleiche Tarrasch-Struktur wie am Vortag im Verbands-Pokal auf dem Brett hatte. Er erarbeitete sich positionellen Vorteil, der schließlich zu einem Endspiel mit Läuferpaar und zwei Bauern gegen Läufer, Springer und einen Bauern führte, das er technisch sauber nach über 6 Stunden zum Sieg führte, was den 5:3-Endstand bedeutete. Somit konnte sich Marathon-Mann Jörg am späten Sonntag Abend nach seinem »zweimal NRW und zurück«-Wochenende über zwei gewonnene Mannschaftskämpfe freuen, zu denen er jeweils den entscheidenden Sieg beigesteuert hatte.
Da Eppingen parallel gegen Trier unterlag, trat Teamchef Herbert Scheidt hochzufrieden und mit der imaginären Bronzemedaille im Gepäck die Heimreise an. Mit Ausnahme der beiden schwachen Vorstellungen gegen Wattenscheid und Bremen spielte sein Team wieder eine exzellente und sehr konstante Saison, was sich auch in der Bilanz von 48,8 gewonnenen Elo-Punkten ausdrückt. Ein Sonderlob in der kompakten Mannschaft verdienten sich Markus Ragger, der mit 8½/15 eine 2709-Performance in seiner ersten Saison am Spitzenbrett ablieferte, sowie Daniel Stellwagen, der mit 8/13 ungeschlagen blieb. Zudem wusste auch Altmeister Artur Jussupow mit 4½/6 zu überzeugen, zumal wir ihm auch einen gewissen Anteil des gelungenen Bundesliga-Debüts seines Schülers Mads Andersen mit 5½/8 zugestehen müssen.
Die Schachfans in der Klingenstadt freuen sich jedenfalls bereits auf die kommende Saison, in dem wir wieder einen Treppchenplatz anstreben wollen.
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