Bei sportlichen Duellen mit Albanien erinnern sich die Fußball-Experten gerne an das 0:0 unserer Nationalmannschaft in Tirana im Jahre 1967, welche die Teilnahme an der Europameisterschaft kostete. Ebenfalls noch im Gedächtnis ist die Sternstunde des Rumpelfußballs, als Libero Gerd Strack im Jahre 1983 mit seinem 2:1-Treffer fünf Minuten vor Schluss im letzten Qualifikationsheimspiel gegen Albanien gerade noch den Weg zur EM sicherte. Wir hatten uns für das Duell mit dem albanischen Klubi Sportiv »Butrinti« daher fest vorgenommen, uns weder zu blamieren noch um den Sieg zittern zu müssen.
Am Ende gelang beides souverän: die Hinterachse mit Andreas Peschel, Milon Gupta und Oliver Kniest sorgte frühzeitig für die Entscheidung, bevor Markus Schäfer in einem schönen Leichtfigurenendspiel für den abschließenden Sieg zum 5:1 sorgte. Damit haben wir vor der Schlussrunde erstmalig das angestrebte ausgeglichene Punktekonto erreicht.
Auf den ersten Blick schien unser albanischer Gegner ein absolutes Traumlos zu sein, denn hinter dem routinierten IM Ilir Sejtaj (2378) am Spitzenbrett tauchten nur noch Spieler mit einer Elozahl von unter 2050 auf. Doch dieser Eindruck täuscht – der Schachclub »Butrinti« ist seit Jahren ein Dauergast beim Europapokal und für die albanischen Spieler ist es praktisch die einzige Möglichkeit, international zu spielen, so dass bei der Vorbereitung schnell deutlich wurde, dass die meisten Akteure deutlich unterbewertet sind. Auch in dieser Woche hatten sie bereits einige Teilerfolge gegen starke Spieler erzielt.
Den ersten Vorgeschmack der praktischen Spielstärke unserer Gegner bekam unser bisheriger Topscorer Thomas Michalczak zu spüren. Murat Mejdini (1977) wendet mit Weiß ausschließlich das Londoner System an und Tom war wie immer perfekt vorbereitet. Doch nach dem schnellen Abspulen einer langen Theorievariante reagierte Mejdini auch aufs Toms präparierte Neuerung überhaupt nicht überrascht, sondern brachte im schnellen Tempo weiterhin die besten Züge aufs Brett. Als Thomas dann zu optimistisch die a-Linie öffnete, drang dort die weiße Dame sehr gefährlich in die schwarze Stellung ein, so dass er froh war, sich in ein ungleichfarbiges Läuferendspiel mit Minusbauern retten zu können, das Remis war. Allerdings musste Tom dadurch seine Hoffnungen auf eine weitere IM-Norm begraben.
Die Führung ging dann auf das Konto von Oliver Kniest, der vom Fajarowicz-Gambit von Erald Mihasi (1862) überrascht wurde, der vor zwei Jahren immerhin – wenn auch sehr glücklich – gegen Lorenz Drabke gewonnen hatte. So hielt Olli die Stellung bewusst einfach, konnte letztlich seinen Mehrbauern verteidigen und diesen dann im Schwerfigurenendspiel in einen vollen Zähler ummünzen. Kurze Zeit später baute Milon Gupta dann mit Schwarz gegen Perikli Kollagji die Führung aus. Gegen das harmlose Vierspringerspiel übernahm er früh die Initiative, unterband die weißen Versuche auf Gegenspiel am Königsflügel und wickelte später in ein gewonnenes Endspiel ab, in dem sein Kontrahent zu allem Übel noch in ein einzügiges Matt hineinlief.
Keine Probleme hatte auch Andreas Peschel, gegen Fuat Karalliu seinen vierten Sieg in Folge einzufahren. In einem Dameninder eroberte er früh das schwarze Läuferpaar, konnte später einen Bauern gewinnen und nutzte diesen Vorteil sicher zur vorzeitigen Entscheidung des Kampfes. Unterdessen spielte Jörg Wegerle am Spitzenbrett mit Schwarz gegen IM Ilir Sejtaj (2378) eine interessante Partie, in der jedoch das Stellungsgleichgewicht niemals ernsthaft gestört wurde. Aus einem c3-Sizilianer entstand nach diversen Abtäuschen schließlich ein Turmendspiel, in dem Jörg dank seines aktiveren Königs leicht besser stand, was jedoch kein im Gewinnsinne ausreichender Vorteil war.
Zum Schluss mühte sich dann noch Markus Schäfer gegen den sich zäh verteidigenden Lime Mihasi (2030). Er hatte mit Weiß gegen die Philidor-Verteidigung schrittweise kleine Fortschritte erzielt und stand mit seinem Läuferpaar unbestritten besser, auch wenn dieses in der sehr geschlossenen Stellung nur schwer zur Geltung zu bringen war. Markus manövrierte jedoch sehr geschickt und konnte die Bauernstruktur so festlegen, dass er nach dem Abtausch der Damen mit einem Endspiel mit Läufer gegen den völlig passiven schwarzen Springer verblieb, so dass er schließlich mit seinem König in die schwarze Stellung hineinzulaufen drohte und unter Ausnutzung von Zugzwangmotiven zu entscheidendem Materialgewinn kam, was den 5:1-Endstand perfekt machte.
Damit haben wir uns vor der Schlussrunde mit 6:6 Zählern auf Rang 25 vorgearbeitet und treffen aufgrund unseres sehr guten Brettpunktekontos nach dem ECU-Auslosungssystem auf eine Mannschaft mit wenig Brettpunkten. Das Los hat zum Abschluss das Duell gegen die englische Mannschaft namens White Rose vorgesehen. Dies ist einerseits sportlich eine machbare Aufgabe, andererseits ein Duell mit besonderer Brisanz. Schließlich sind die Briten das einzige Team, dass außer uns nicht im offiziellen Turnierhotel wohnt, sondern stattdessen auch in unserem Hotel residiert … Folglich geht es morgen nicht nur um eine gute Platzierung, sondern auch um die schachliche Vorherrschaft im »Hotel Natalie«!
Drückt uns die Daumen!