Solinger Remispartien waren eine Rarität in diesem Europapokal. Vielleicht lag es an der Sofia-Regel, die Remisvereinbarungen erst nach dem 40. Zug erlaubte, vielleicht lag es auch an den überdurchschnittlich vielen Kämpfen mit großer Elo-Differenz. In jedem Fall spielte aber auch unser großer Kampfgeist keine unwesentliche Rolle, dass insgesamt nur 7 unserer 42 Partien mit einem Remis endeten.
So verwundert es nicht, dass auch unser einziges Mannschaftsunentschieden, welches wir in der Schlussrunde mit dem 3:3 gegen das Londoner Team von White Rose erzielten, durch sechs entschiedene Partien zustande kam. Genau genommen waren es sogar nur fünf Partien, da bei den Engländern krankheitsbedingt ein Spieler ausfiel, so dass Milon Gupta kampflos gewann. Im hart umkämpften Match kamen noch zwei Siege der Mittelachse Thomas Michalczak und Oliver Kniest hinzu. Zwar verpassten wir dadurch das erhoffte positive Punktekonto, landeten aber mit 7:7 Zählern dank unserer exzellenten Sonneborn-Berger-Wertung und dem guten Brettpunktekonto auf einem starken 23. Platz. Dieser Rang ist nicht nur 10 Plätze besser als unser Setzlistenplatz, sondern auch die zweitbeste Solinger Platzierung in der neuen Europacup-Ära nach dem 18. Platz in Fügen, der 2006 allerdings mit 2 GM und 2 IM zustande kam.
Die morgendliche Stimmung in unserem »Hotel Natalie« war heute nicht ganz so entspannt, wie wir es in der gesamten letzten Woche sehr genossen haben. Grund dafür waren aber nicht etwa unser wie gewohnt außerordentlich freundliches Hotel-Personal, sondern die Tatsache, dass ausgerechnet die beiden hier wohnenden Schach-Teams in der letzten Runde aufeinandertrafen. Insofern belauerte man sich ein wenig in der Hotellobby, sonst ein sehr beliebter Treffpunkt, da es nur hier im Hotel Internet-Empfang gibt. Lediglich Milon Gupta konnte sich ohne störende Gedanken an Eröffnungsvorbereitung der ausgiebigen Besichtigung des Großmeisterpalastes in der historischen Altstadt zuwenden, da die Briten bereits das gesamte Turnier ohne ihr 5. Brett auskommen mussten.
Der Kampf begann dann durchaus vielversprechend, denn Thomas Michalczak brachte gegen die moderne Verteidigung von Paul Townsend (2233) mit 7.e5 eine improvisierte und starke Neuerung, die ihm nach dem typischen späteren Bauernopfer e6 exzellente Kompensation durch die deplatzierten und unterentwickelten schwarzen Figuren einbrachte. Zwar verdarb er später seinen Vorteil im frühen Mittelspiel, doch als ihm sein Gegner die Option zu einem starken Qualitätsopfer bot, ließ sich Tom nicht zweimal bitten und nutzte danach seine zweite Siegchance konsequent.
Wenig später kamen die Engländer zum Anschlusstreffer: FM Jan Willem Van de Griendt (2317), der in diesem Turnier exzellent aufspielte und bereits vor der letzten Runde eine IM-Norm sicher hatte, überraschte Markus Schäfer mit dem Trompowsky-Angriff, gegen den Markus ein improvisiertes Verteidigungssystem im Stile der Pirc-Verteidigung versuchte, dabei aber so viel Zeit in der Eröffnung verlor, dass sich der weiße Angriff in Anbetracht des großen schwarzen Entwicklungsrückstands fast von selbst spielte, so dass Markus bereits nach 28 Zügen aufgeben musste.
Zumindest das Unentschieden sicherte dann kurz vor der Zeitkontrolle Oliver Kniest, der Stephen Barrett (2216) mit Schwarz in einer Igel-Struktur auskonterte, so dass Weiß bereits mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, als er in Zeitnot ein einzügiges Matt übersah. Leider riss nur wenige Minuten später die Siegesserie von Andreas Peschel, der zuletzt vier volle Punkte in Folge eingefahren hatte. Gegen Kieran O’Driscoll (2120) war ihm mit Schwarz die Eröffnung missglückt, so dass er in einer schlechten Karlsbader Struktur der Damengambit-Abtauschvariante gelandet war. Daher initiierte Andreas mit taktischen Mitteln Gegenspiel am Königsflügel und erhielt nach einer fehlerhaften Reaktion seines irischen Gegners sogar Vorteil, den er jedoch durch eine Ungenauigkeit und einen heftigen Rechenfehler wegwarf, wonach die strukturelle weiße Überlegenheit schnell zu einem vollen Zähler führten.
Beim Stande von 3:2 musste nun Jörg Wegerle mit Weiß gegen den bekannten Schachbuchautor IM Richard Palliser (2455) Remis halten. Doch es war einfach nicht Jörgs Turnier. In einer haltbar erscheinenden Stellung machte er in Zeitnot erneut einen pseudo-aktiven Zug, der im Endeffekt lediglich Palliser sehr starke Initiative einräumte, so dass Jörg vermutlich bereits auf Verlust stand, als er im 37. Zug die Zeit überschritt.
Damit war unser erstes 3:3 in diesem Turnier perfekt, das uns dank unserer sehr guten Wertung im großen Mittelfeld-Pulk einen sehr ordentlichen 23. Platz einbrachte, mit dem wir auch beste deutsche Mannschaft des Turniers wurden. Selbstverständlich darf bei der Bewertung dieses Ergebnis nicht vergessen werden, dass wir nach der suboptimalen ersten Turnierhälfte mit dem verschenkten Sieg gegen Sautron in den drei Schlussrunden relativ leichte Gegnerschaft bekamen, dafür aber dann endlich einmal konsequent auch unsere Chancen nutzten und die Kämpfe teilweise hoch gewannen, was für die Sonneborn-Berger-Wertung wichtig war, bei der die jeweils erzielten Brettpunkte mit den Mannschaftspunkten des jeweiligen Gegners multipliziert werden. Sehr gerne hätten wir natürlich gegen noch einige stärkere Teams gespielt, was unsere schwache Form zum Auftakt leider verhinderte.
Abschließend sollte noch einmal die Rolle unseres siebten Delegationsmitglieds Kai Wegerle hervorgehoben werden, der eine Woche lang sechs Schachspieler um sich herum erdulden musste und diese Rolle glänzend meisterte. Mit seinem trockenen Humor lockerte er vor allem die Stimmung an den Abenden nach den verlorenen Kämpfen auf, war eine gern gesehene Begleitung für diverse Ausflugsaktivitäten und konnte vor allem auch seinen Bruder Jörg wieder aufbauen, bei dem in dieser Woche einfach nichts zusammenlaufen wollte. Beim restlichen Team wechselten Licht und Schatten, so dass diesmal weder Normen noch andere herausragende Einzelergebnisse zu verzeichnen waren. Thomas Michalczak machte seinem Ruf als »Mr. Europacup« erneut Ehre und erzielte mit 5/7 eine Performance von 2401. Mit der gleichen Punktzahl wurde Milon Gupta zweitbester Topscorer einer Mannschaft , die sich – mit dem notwendigen Auslosungsglück – eine Endplatzierung mit 10 Rängen über ihrem Setzlistenplatz erspielte, die man ihr in dieser Besetzung nicht zugetraut hätte.
Zum Gelingen unseres Turniers trugen daneben nicht nur das auch für griechische Verhältnisse exzellente Spätoktober-Wetter, sondern auch das von Markus Schäfer ausgewählte »Hotel Natalie« mit seiner sehr familiären und freundlichen Atmosphäre ebenfalls einen wichtigen Teil bei. Der abschließende Dank des Berichterstatters geht an die heimischen Fans in Solingen für die geleistete moralische Unterstützung und vor allem an seine Teamkollegen, die hervorragenden Mannschaftsgeist demonstrierten und diese Woche in Rhodos zu einer ganz besonders schönen Schach-Reise machten.
Herzlichen Glückwunsch an das Team für das gute Ergebnis und danke für die immer sehr ausführliche und interessant zu lesende Berichterstattung !