Eine der am häufigsten diskutierten Fragen im Sport ist, ob es sich im Falle eines Unentschiedens um einen Punktgewinn oder -verlust handelt. Unser Europapokalteam konnte hierüber nach dem 3:3 gegen den SK Hohenems auch während der ausführlichen Analyse beim Abendessen keine absolute Einigkeit erzielen. Vorangegangen war ein sehr spannendes Duell, bei dem ausgerechnet Alexander Naumann gegen seinen langjährigen österreichischen Klub die Führung erzielt hatte. Leider musste sich Erwin L’Ami in der letzten Partie noch geschlagen geben, so dass es nichts mit dem erhofften Sieg wurde. Auf der anderen Seite hat sich unser Team mit 8:4 Punkten wieder unter die Top Ten geschoben und besitzt morgen sogar die Chance, diesen Platz noch zu verbessern.
Da Kapitän Markus Schäfer heute selbst zum Einsatz kam, übernahm Teamchef Herbert Scheidt höchstpersönlich die Mannschaftsführung gegen Hohenems und konnte die Partien seiner Schützlinge dadurch endlich einmal direkt in Augenschein nehmen. Für die Österreicher war es sicherlich kein ganz normales Duell, da sie nicht nur gegen ihren nationalen Spitzenspieler Markus Ragger, sondern auch gegen Alexander Naumann antreten mussten, der 12 Jahre für Hohenems spielte, aber in diesem Sommer nach Maria Saal wechselte. Nominell war ein Duell auf Augenhöhe zu erwarten, was sich im Kampfverlauf auch bestätigte.
Das Spitzenbrett unserer Gegner, der routinierte GM Eduardas Rosentalis (2615) hatte in den vorherigen Runden drei Niederlagen in Folge hinnehmen müssen. Folglich war es keine besondere Überraschung, dass er gegen die Berliner Verteidigung von Markus Ragger die zahme Variante mit 5. Te1 wählte, die zu sehr sterilen Positionen führen kann. Der Litauer vermied auch in der Folge jegliches Risiko, so dass nach einem unspektakulären Partieverlauf Frieden geschlossen wurde. Auch am 6. Brett wurde das Stellungsgleichgewicht niemals ernsthaft gestört: Markus Schäfer konnte in einem positionellen Tarrasch-Franzosen gegen den sehr solide agierenden IM Milan Novkovic (2373) keinen Vorteil erzielen, so dass auch hier nach einer Zugwiederholung im frühen Mittelspiel der Punkt geteilt wurde.
Ein besonderes Duell gab es am 5. Brett, wo mit IM Georg Fröwis (2437) und Mads Andersen nicht nur die jüngsten Spieler beider Teams, sondern auch die beiden besten Akteure des Turniers am entsprechenden Brett mit jeweils 5½/6 aufeinander trafen, so dass die Partie auch große Konsequenzen für mögliche Brettpreise hatte. Mads konnte in einer semislawischen Anti-Meraner-Variante keinen vollständigen Ausgleich erzielen, verteidigte seine leicht schlechtere Stellung jedoch präzise und erreichte im Turmendspiel dann einen verdienten halben Zähler. Ebenfalls mit einem halben Zähler mehr als zufrieden musste Sandipan Chanda in seiner Partie gegen IM Dennis Breder (2488) sein. Als Schwarzer in einem schottischen Vierspringerspiel verwechselte er zwei Varianten seiner Vorbereitung, so dass er im Mittelspiel klar schlechter stand und eine Qualität abgeben musste. Doch es gelang ihm eine Verteidigungsstellung aufzubauen, in dem sein Läufer in Verbindung mit seinem Mehrbauern ein angemessenes Äquivalent zum gegnerischen Turm darstellte, so dass Sandipan auch dank des großen Bedenkzeitnachteils von Breder ohne größere Probleme den Remishafen erreichte.
Nach diesen beiden eher für uns günstigen Punkteteilungen lagen nun die Solinger Hoffnungen auf der Partie von Alexander Naumann. Dieser hatte vorher beschlossen, dass besondere Situationen wie die Begegnung mit seinem Ex-Club auch besondere Maßnahmen erforderten. Also eröffnete Alex gegen IM Valery Atlas (2448) erstmals seit mehr als sechs Jahren mit 1. e4! Atlas verteidigte sich mit einem Scheweninger Sizilianer, konnte aber gegen den englischen Angriff niemals vollständig ausgleichen. Selbst bei deutlich reduziertem Material besaß Alexander dank seiner deutlich aktiveren Figuren noch Vorteil und erreichte nach der Zeitkontrolle ein Turmendspiel mit Mehrbauern, das er schließlich mit solider Technik zum ersten Sieg des Tages und der damit verbundenen 3:2-Führung ummünzte.
Beim Duell von Erwin L’Ami mit GM Falko Bindrich (2600) war aus einem 3. Lb5-Sizilianer schließlich eine sehr geschlossene Stellung entstanden, die sehr große strukturelle Ähnlichkeit mit einem Breyer-Spanier besaß. Lange Zeit schien Erwin hier alles unter Kontrolle zu haben, doch in Anbetracht der Probleme von Atlas erhöhte Bindrich vor der Zeitkontrolle das Risiko und wurde belohnt, als Erwin gegen die schwarze Aktivität am Königsflügel nicht die beste Verteidigung fand. Die weiße Position war nun unglaublich schwer zu verteidigen und Erwin musste sich nach dem Verlust zweier Bauern am Damenflügel schließlich geschlagen geben, nachdem Bindrich auch seine letzten taktischen Tricks unterbunden hatte.
Ob dieses 3:3 nun ein Punktgewinn oder -verlust war, wird sich vermutlich erst morgen entscheiden. Mit Platz 9 ist die Ausgangslage vor der letzten Runde durchaus vielversprechend und mit dem ungarischen Team von Haladas VSE erhielten wir einen schlagbaren und in jedem Falle deutlich schwächeren Gegner zugelost, als es im Falle eines heutigen Sieges der Fall gewesen wäre.
Deshalb heißt es morgen für alle Fans in der Klingenstadt Daumendrücken für eine Topplatzierung! Bitte beachtet, dass die letzte Runde um eine Stunde vorverlegt wurde, morgen also bereits um 14.00 Uhr beginnt!
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