Unser Neuzugang Richard Rapport und Markus Ragger haben mit sehr kreativen Angriffspartien im Spitzenkampf gegen den SK Schwäbisch Hall für einen optimalen Saisonstart unseres Bundesliga-Teams gesorgt. Ihre beiden Siege an den Spitzenbrettern waren bei einer Niederlage von Routinier Artur Jussupow entscheidend für den 4½:3½-Erfolg gegen den letztjährigen Tabellenvierten. Damit machte die Mannschaft ihrem Teamcaptain Herbert Scheidt eine besondere Freude, der sich trotz gesundheitlicher Probleme nicht von der Reise in den Süden hatte abhalten lassen und dessen Genesungsprozess durch die Ereignisse an den Brettern sicherlich positiv beeinflusst wurde.
Die ambitionierten Haller, die im Vorjahr als Aufsteiger einen exzellenten vierten Platz belegt und Meister Baden Baden am Rande einer Niederlage gehabt hatten, gehören neben Werder Bremen und unserer Mannschaft sicherlich zu den Hauptaspiranten auf die Medaillenplätze hinter dem Serienmeister, so dass das direkte Aufeinandertreffen sicherlich das Spitzenspiel der ersten Runde darstellte. Erneut glänzten die Gastgeber dabei mit einer hervorragenden Ausrichtung und einer vorbildlichen Live-Übertragung, in der Frank Zeller die Partien für die Zuschauer vor Ort und im Internet erläuterte.
Einziger Wermutstropfen war die Überschneidung mit dem Weltcup in Baku, durch die beide Teams nicht nur auf ihre Topgroßmeister Dmitry Jakovenko und Anish Giri verzichten mussten. Auf Seiten der Haller waren zudem noch Maxim Rodshtein und Viktor Lanznicka und von unseren Akteuren noch Pentala Harikrishna in Aserbaidschan vertreten gewesen, jedoch bereits in der zweiten Runde des KO-Turniers gescheitert, so dass sie zumindest theoretisch hätten in Schwäbisch Hall dabei sein können. Letztlich verzichteten jedoch beide Teams auf die vom energieraubenden Turnier sicherlich noch geschafften Akteure, so dass nach Abgabe der Aufstellungen unser Achter nominell als leicht favorisiert gelten musste, da die Gastgeber nahezu mit der gleichen Mannschaft antraten, die am Vorabend in der vorgezogenen Einzelrunde gegen Reisepartner Erfurt einen souveränen 6:2-Sieg eingefahren hatte.
Lediglich Matthias Womacka rückte für Frank Zeller in die Mannschaft, der als Kommentator wie in derartigen Duellen häufig zunächst einmal einen sehr ausgeglichenen Verlauf beobachten konnte. Die erste Punkteteilung gab es nach etwas über drei Stunden in der Partie von Erwin L’Ami, der gegen den grundsoliden Chebanenko-Slaven von GM Evgeny Postny (2653) niemals mehr als den üblichen Raumvorteil erhielt, aber die extrem kompakte schwarze Struktur nicht erschüttern konnte. Den unbekanntesten Gegner hatte sicherlich Predrag Nikolic, der mit Schwarz gegen den jungen chinesischen IM Jinshi Bai (2519) antreten musste, der als Schüler von Li Chao in dieser Saison die Haller verstärken wird. Predrag spielte mit Schwarz einen sehr soliden Bogo-Inder, so dass das Stellungsgleichgewicht niemals ernsthaft gestört wurde, bevor in einem völlig ausgeglichenen Turmendspiel der Friedensschluss vereinbart wurde.
Im Gegensatz zu diesen beiden unscheinbaren Partien zogen die beiden Duelle an den Spitzenbrettern frühzeitig die Augen der Kiebitze auf sich. Mit Richard Rapport und dem inzwischen auf Platz 15 der Weltrangliste gekletterten GM Li Chao (2756) trafen dabei sicherlich zwei der Stars der Liga aufeinander, deren Duell nicht enttäuschte. Richard hatte nach einer sehr langen Durststrecke jüngst als geteilter Erster beim starken Open in Abu Dhabi endlich wieder Selbstvertrauen getankt und ließ gegen den Chinesen früh seine bekannte Kreativität aufblitzen. In einer eher konventionellen Anti-Grünfeld-Variante streute er in den ersten 10 Zügen bereits die Bauernvorstöße h4 und a4 ein und leitete schließlich mit einem spektakulären positionellen Qualitätsopfer im Mittelspiel einen fulminanten Angriff ein, den Li Chao bei knapper Bedenkzeit nicht mehr parieren konnte. Damit gelang dem 19jährigen Ungarn ein Traumstart im SG-Dress – die entscheidende Partiephase wird auf der neu gestalteten Schachbundesliga-Seite kommentiert.
Kaum weniger spektakulär verlief die Begegnung am Nachbarbrett, wo Markus Ragger mit Schwarz in einem ruhigen klassischen Spanier mit 6.d3 eine Idee von Levon Aronian ausgerechnet gegen Tigran Gharamian (2660) anwendete, der vor kurzem noch als Sekundant des armenischen Spitzenbretts bei einem Turnier aktiv gewesen war. Zunächst erhielt Weiß einen Mehrbauern, doch mit 19. Dd2 griff Gharamian erstmals daneben, was Markus den ersten hübschen taktischen Schlag 19… Lb4 erlaubte, durch den er ein Übergewicht am Damenflügel erhielt, bevor er mit zwei Figurenopfern auf h3 und f3 einen unwiderstehlichen Königsangriff initiierte. Nach 32 Zügen musste sich der naturalisierte Franzose geschlagen geben und Markus war mit dieser großartigen Angriffspartie und einer nunmehr virtuellen Elo von 2699 bis auf einen Zähler an die magische 2700-Marke gerückt.
Viel wichtiger war aber natürlich die 3:1-Führung vor der Zeitkontrolle, zumal sich die Gastgeber sicherlich gerade an den Spitzenbrettern einige Chancen ausgerechnet hatten. Der zweite Neuzugang in unserem Team, Robin van Kampen, steuerte wenig später einen weiteren halben Zähler bei. In einem Taimanov-Sizilianer, über den er vor einigen Monaten eine Video-Serie veröffentlicht hatte, hatte er als Schwarzer schrittweise die Initiative übernommen, so dass sich GM Matthieu Cornette (2591) zu einem Qualitätsopfer genötigt sah, mit der er die Kontrolle über die Stellung zurückgewann und in der er dank seines imposanten Läufers auf d4 van Kampen keine realen Gewinnmöglichkeiten bot. Alexander Naumann traf mit Schwarz auf einen alten Bekannten, wobei seine ersten Duelle mit GM Matthias Womacka (2440) schon einige Zeit zurückliegen. Alex spielte das bei ihm eher selten anzutreffende Französisch, doch der Überraschungsmoment lag eher auf Seiten von Womacka, der in einer bekannten Tarrasch-Struktur mit 13. Ld2 einen sehr seltenen Zug auspackte, den er im letzten Monat bei einem Open in Österreich erstmals getestet hatte. Unser dienstältester Akteur reagierte prinzipiell, brachte sich dann aber durch einen Qualitätseinsteller, für den er lediglich einen Bauern erhielt, in Schwierigkeiten. Doch bei knapper Bedenkzeit konnte er soviel Gegenspiel generieren, dass bei reduziertem Material sein von einem zentral postierten Springer unterstützter Freibauer genügend Kompensation garantierte, um die Partie in den Remishafen zu steuern.
Trotz des komfortablen 4:2-Vorsprungs musste nach knapp fünf Stunden noch einmal gezittert werden. Zu diesem Zeitpunkt deutete sich bereits an, dass Artur Jussupow seinen in einem Rubinstein-Nimzo-Inder gegen GM Anthony Wirig (2500) sehr ambitioniert geopferten Isolani nicht mehr zurückerhalten würde und ein verlorenes Endspiel zu verwalten hatte. Somit hing alles von der Partie von Jan Smeets ab, der nach einjähriger berufsbedingter Pause sein Comeback in der Bundesliga feierte. Gegen die Caro-Kann-Verteidigung des Slowaken GM Peter Michalik (2570) erspielte sich Jan im Mittelspiel eine positionelle Gewinnstellung inklusive Mehrbauern.
Kurioserweise führte der gradlinigste Weg, diesen Vorteil umzumünzen, schließlich noch zu Problemen. Durch seinen Freibauern auf der d-Linie gewann Smeets einen Springer, für den Michalik nur einen Bauern erhielt, dafür aber seinen König im Endspiel optimal aktivieren konnte, so dass Jan auf einmal genau spielen musste, um im Turmendspiel mit seinem Springer und b-Bauern die schwarzen Bauern auf der a- und b-Linie zu kontrollieren. Dies war insbesondere deshalb nicht so einfach, weil Jan regelmäßig nur noch vom 30-Sekunden-Bonus lebte und Michalik konsequent allen Möglichkeiten zur Vereinfachung auswich. Schließlich fand Smeets aber doch die Möglichkeit, unter Rückopfer seines Springers in ein remises Turmendspiel mit jeweils einem Bauern abzuwickeln, was den entscheidenden halben Zähler zum Mannschaftssieg bedeutete.
Insofern war es auch zu verkraften, dass Artur Jussupow schließlich trotz gewohnt zähem Widerstand nach 88 Zügen seinem Kontrahenten zum Sieg gratulieren musste. Das 4½:3½ stellt einen optimalen Start in die Saison dar, der im morgigen Duell gegen den Erfurter SK untermauert werden soll. Die kampfstarken Thüringer holten heute im Parallelkampf einen überraschenden Punkt im Duell mit den höher eingeschätzten Trierern und sollten nicht unterschätzt werden.
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