Es hat leider nicht gereicht: Trotz einer erneut starken kämpferischen Leistung mit einer beeindruckenden Gewinnpartie von Anish Giri gegen WM-Herausforderer Fabiano Caruana musste sich unser Bundesliga-Team im Stichkampf um den Meistertitel gegen die OSC Baden-Baden mit 3½:4½ geschlagen geben. Die Gastgeber spielten dabei ihre klaren nominellen Vorteile souverän aus und gewannen den Kampf absolut verdient. Daher auf diesem Wege noch einmal herzlichen Glückwunsch an die Mannschaft der OSC Baden-Baden, Teamchef Sven Noppes und Sponsor Wolfgang Grenke zum 12. Deutschen Meistertitel!
Knapp 3½ Wochen waren seit dem 1. Mai vergangen, an dem die letzte Runde der Bundesligasaison absolviert worden war und aufgrund der Punktgleichheit an der Tabellenspitze feststand, dass es zu einem Stichkampf um den Meistertitel kommen würde. Dabei war lediglich klar, dass dieser in Baden-Baden stattfinden würde, da der Titelverteidiger in der regulären Saison zwei Brettpunkte mehr geholt hatte.
Dieser Zeitraum war vor allem für Interims-Teamchef Alexander Naumann sehr belastend , da – stets begleitet von den großen Sorgen um den im Krankenhaus befindlichen Herbert Scheidt – ein Termin für den Stichkampf und eine möglichst starke Mannschaft organisiert werden musste. Besonders die Terminfindung gestaltete sich als sehr schwierig, da der Stichkampf auf jeden Fall im Mai stattfinden sollte, das erste und letzte Wochenende aber mit dem Finale des Deutschen Mannschafts-Pokals und der Deutschen Blitz-Mannschaftsmeisterschaft belegt waren. An den beiden Wochenenden dazwischen wäre es jeweils einer Mannschaft nicht möglich gewesen, acht Spieler zusammen zu bekommen.
So kam der relativ ungewöhnliche Termin am Donnerstag, dem 24.05.2018 zustande, da die Badener zudem an diesem Tag mit dem Kristallsaal im Kulturhaus LA8 den gewohnt schönen Rahmen für dieses abschließende Spitzenduell der Saison zur Verfügung stellen konnten. Für uns war frühzeitig klar, dass an diesem Tag mit Pentala Harikrishna (Chinesische Liga) und Robin van Kampen (Uni-Examen) zwei der Meisterschaftshelden des Jahres 2016 nicht zur Verfügung stehen würden. Doch es bestand noch eine gute Chance, dass zumindest Richard Rapport das Team verstärken könnte, der aber ca. eine Woche vor dem Kampf schließlich auch wegen anderweitiger Verpflichtungen in Ungarn absagen musste.
Schließlich überschattete die erschütternde Nachricht von Herberts Ableben die Vorbereitungen auf das Match maßgeblich. Sehr traurig fasste es Predrag Nikolic am Vorabend zusammen: »Ich sitze hier bei herrlichem Wetter im Biergarten und warte kontinuierlich darauf, dass sich Herbert wie immer zu mir gesellt, aber er erscheint einfach nicht.« Dennoch war die Mannschaft um den erstmals in dieser Spielzeit zum Einsatz kommenden Anish Giri beim Teamessen hochmotiviert, am Folgetag auch zu Herberts Ehren für eine Überraschung zu sorgen.
Wie schwer dies werden würde, war allen frühzeitig klar, da auch die Mannschaft von Baden-Baden im gleichen Hotel wie wir wohnte und man im Laufe des Vorabends und beim morgendlichen Frühstück die vermeintlichen Teams prognostizieren konnte. Gewissheit gab es dann zwei Stunden vor Beginn nach endgültiger Abgabe der Aufstellungen. Zwar fehlte bei den Gastgebern Levon Aronian, aber die drei anderen Topakteure Fabiano Caruana (2822), Maxime Vachier-Lagrave (2789) und Ex-Weltmeister Vishy Anand (2760) hatten erwartungsgemäß auf dem Wege zum am Wochenende beginnenden NorwayChess-Turnier einen Zwischenstopp in der Kurstadt eingelegt.
Hinter dem achtmaligen Russischen Einzel- und frisch gebackenen russischen Mannschaftsmeister Peter Svidler (2760) konnten die Gastgeber auch in der Hinterachse mit Radoslav Wojtaszek (2750), Michael Adams (2701), Etienne Bacrot (2714) und dem nächsten Ex-Weltmeister Rustam Kasimdzhanov (2658) nahezu aus dem Vollen schöpfen, so dass nicht einmal Arkadij Najditsch – sonst die absolute Konstante im Noppes-Team – zum Einsatz kam. Somit waren wir an allen Brettern nomineller Außenseiter, und der auf den Elo-Zahlen basierende Erwartungswert ähnelte dem Match bei der zentralen Endrunde in Berlin im Vorjahr. Dort hatten wir trotz der am Ende hohen 1½:6½-Niederlage den Kampf sehr offen gehalten und gute Aussichten auf zumindest einen Punktgewinn gehabt.
Nach einer Schweigeminute zum Gedenken an Herbert wurde dann der von ihm über fünf Jahrzehnte als Mannschaftsführer stets von seinen Spielern eingeforderte Kampfgeist vortrefflich umgesetzt, und es entstanden einige sehr interessante Positionen. Große Aufmerksamkeit erlangte z. B. bei der von Klaus Bischoff gewohnt launig vor Ort durchgeführten Live-Kommentierung das Theorie-Duell von Erwin L’Ami und Radek Wojtaszek, bei dem Erwin in einer Wiener Variante des Damengambits frühzeitig einen Bauern für Initiative geopfert hatte. Auch Anish Giri konnte am Spitzenbrett den WM-Herausforderer Fabiano Caruana in dessen für ihn zuletzt überragend erfolgreichen Russischen Verteidigung überraschen und hatte frühzeitig einen kleinen positionellen und einen großen Vorteil auf der Uhr herausgespielt.
Die erste beendete Partie gab es dann nach etwa drei Stunden bei Loek van Wely. Dieser wurde im Damengambit von einer seltenen Zugfolge von Vishy Anand überrascht, so dass Schwarz zu sehr bequemen Ausgleich kam und Loek im Mittelspiel einige genaue Züge finden musste, um das Gleichgewicht zu halten. Schließlich wurde nach 33 Zügen im totremisen Endspiel Frieden geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt deutete sich allerdings bereits an, dass die Badener die Oberhand behalten würden, da sie insbesondere an den hinteren Brettern viele Vorteile ansammeln konnten.
Predrag Nikolic hatte es mit Schwarz gegen den extrem theoriebeflissenen Rustam Kasimdzhanov mit einer angestaubten französischen Winawer-Nebenvariante probiert, geriet aber sukzessive stärker unter Druck, da er bei geschlossenem Zentrum keinen sicheren Platz für seinen König fand und der schwarze f7-Bauer zur dauerhaften Schwäche geriet. Als dieser fiel, war die Stellung nicht mehr zu halten und der Usbeke konnte sich nicht nur für seine Vorjahresniederlage gegen Predrag revanchieren, sondern auch die immens wichtige Führung für die Gastgeber erzielen.
Zudem war auch Mads Andersen, der mit Weiß in einer modischen Katalanisch-Variante mit jeweils sehr häßlichen Bauernstrukturen eine neue Idee versucht hatte, gegen Etienne Bacrot in die Defensive geraten, nachdem er zwar eine Qualität mitnehmen konnte, der gedeckte schwarze Freibauer auf c2 jedoch das Zusammenspiel der beiden weißen Türme extrem störte. Zumindest konnte Erwin L’Ami, dessen Initiative versandet war, erfolgreich den Übergang in ein nur minimal schlechteres Turmendspiel forcieren und so im Duell der beiden Top-Sekundanten die Punkteteilung erreichen.
Schließlich fiel dann in der Zeitnotphase die Vorentscheidung zu Gunsten der Gastgeber. Borki Predojevic hatte mit Schwarz gegen Mickey Adams die gleiche französische Tarrasch-Variante wie im Kampf vor drei Monaten gegen Sergej Movsesian gewählt und schien nach der Eröffnung bequemen Ausgleich zu besitzen. In der Folge wurde er jedoch etwas zu ambitioniert und landete in einem Mittelspiel mit schlechterer Leichtfigur, was gegen den positionell filigranen Briten eine sehr undankbare Aufgabe ist. In der Zeitnotphase wählte Adams dann den streng positionellen Weg und verpasste größeren Vorteil, bevor ihm ein seltener Blackout entscheidend einen Bauern gekostet hätte. Doch Borki, der nur noch vom 30-Sekunden-Bonus lebte, verpasste den Moment, so dass die Partie kurz danach im Remis endete.
Ebenso schlecht lief die Zeitnotphase bei Jan Smeets, der zunächst als Schwarzer mit seiner russischen Verteidigung gegen Peter Svidler eine recht solide Stellung dank guter Blockade des weißen Isolani erhalten hatte. Doch wie so häufig lief Jan die Zeit davon und es gelang Svidler exzellent, die schwarze Position ein wenig zu destabilisieren. Schließlich erreichte er dank seines Läuferpaares ein klar vorteilhaftes Leichtfigurenendspiel, in dem sich Jan kurz nach der Zeitkontrolle geschlagen geben musste. Beim Stand von 1½:3½ war der Kampf nach 4½ Stunden in höherem Sinne entschieden.
Denn Markus Ragger kämpfte mit Schwarz gegen Maxime Vachier-Lagrave in einem Endspiel mit einem Minusbauern ebenfalls nur um den halben Zähler. In einer Berliner Verteidigung im Spanier war Markus gegen den Franzosen kontinuierlich leichtem Druck ausgesetzt, dem er jedoch eine starke Defensivleistung entgegensetzte. Unter Bauernopfer erreichte er im Turmendspiel mit ungleichfarbigen Läufern eine gute Verteidigungsaufstellung und konnte nach Turmtausch selbst den Verlust eines zweiten Bauern verkraften, so dass er nach 68 Zügen mit einem verdienten halben Zähler gegen den Weltklassemann belohnt wurde.
Etwas Spannung kam dann plötzlich auf, als Etienne Bacrot in seiner klar besseren Position gegen die extrem zähe Verteidigung von Mads Andersen die Geduld verlor und suboptimal so abwickelte, dass Mads endlich einen Turm aktivieren konnte. Nach Tausch eines Turmpaares musste der Franzose sogar noch präzise agieren, doch der akademische Vorteil von Turm und zwei Bauern gegen Läufer und drei Bauern an einem Flügel war für echte Gewinnaussichten von Mads zu wenig.
So diente die exzellente Positionspartie von Anish Giri leider »nur« zur Ergebniskosmetik. Aus der Eröffnung behielt er stets dank aktiverer Dame und besserer Leichtfigur einen minimalen Vorteil und konnte schließlich kurz vor der Zeitkontrolle einen Freibauern am Königsflügel bilden. Zwar verteidigte sich Caruana auch bei knapper Bedenkzeit außerordentlich zäh, konnte aber den Verlust von zwei Bauern nicht verhindern, so dass Anish die Partie mit einem hübschen Königsmarsch endgültig für sich entscheiden konnte.
Kurze Zeit später wurde das Remis zwischen Andersen und Bacrot zum Endstand von 3½:4½ vereinbart und wir konnten den Gastgebern zum insgesamt 12. Deutschen Meistertitel gratulieren!
Trotz dieser Niederlage haben wir uns auch heute extrem teuer verkauft und sollten auf den zweiten Rang nach dieser Saison mit 27: 3 Mannschaftspunkten sehr stolz sein. Abschließend bleibt zu hoffen, dass es gelingen wird, diese tolle Bundesliga-Tradition auch nach dem nicht zu kompensierenden Verlust von Herbert Scheidt in seinem Sinne weiterzuführen.
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