Mit einem souveränen 6½:1½ gegen Aufsteiger SG Turm Kiel ist unser Bundesliga-Team ausgezeichnet in die erste Saison ohne Teamchef Herbert Scheidt gestartet. Dabei war es ein schönes Symbol für den Neuanfang, dass ausgerechnet der neue Mannschaftsführer Alexander Naumann den ersten Sieg der neuen Spielzeit einfuhr und für die Führung sorgte, bevor rund um die Zeitkontrolle diverse Stellungen plötzlich zu unseren Gunsten kippten.
Das erste Wochenende stand gleich in mehrfacher Hinsicht unter Premieren-Vorzeichen. So war es auch für unsere Gastgeber vom SG Turm Kiel der erste Auftritt in der Bundesliga, und sie richteten die Begegnungen wie bereits in der 2. Liga Nord nicht in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt, sondern in ihrem traditionellen Spielort Bordesholm aus. Zudem wurden wir erstmals von unserem neuen sympathischen Reisepartner Düsseldorfer SK begleitet, die nach dem Aufstiegsverzicht von Schott Mainz aus der 2. Bundesliga West den Weg in die Bundesliga antraten und mit einer Mischung aus erfahrenen Titelträgern und jungen ambitionierten Spielern aus der Region den Klassenerhalt anstreben.
Die Solinger Delegation hatte sich am Freitag in Neumünster getroffen und war nach einem sehr schönen Abendessen bestens auf sportliche Höchstleistungen eingestellt, zumal sich in unserem Hotel auch die Handballer von FrischAuf Göppingen auf ihr Gastspiel beim THW Kiel vorbereiteten.
Die Bekanntgabe der Aufstellungen zeigte, dass die Kieler bei ihrer Bundesliga-Premiere auf ihre vier polnischen Großmeister im Kader verzichten mussten, so dass wir als klarer Favorit in die Begegnung gingen. Nach knapp 3 Stunden gab es die erste Punkteteilung zu verzeichnen: Borki Predojevic hatte mit Weiß gegen die Caro-Kann-Verteidigung des dänischen GM Allan Stig Rasmussen (2543) die aktuelle Mode-Abtauschvariante gewählt und die schwarze Bauernstruktur zersplitten können. Als der Däne jedoch trotz eigener langer Rochade mutig mit seiner Dame den Bauern auf b2 einkassierte, fand Borki trotz langem Brütens keinen vielversprechenden Angriff und forcierte das Remis durch Zugwiederholung.
Eine starke Vorstellung zeigte Alexander Naumann gegen das 15-jährige dänische Talent FM Filip Boe Olsen (2335). In einer Caro-Kann-Vorstoßvariante erarbeitete sich Alex mit den weißen Steinen großen Raumvorteil, opferte einen Bauern, um praktisch alle schwarzen Figuren zur Passivität zu verurteilen und schloss die Partie dann mit einem hübschen, ein Damenopfer einschließenden, taktischen Schlag ab. Damit leitete Alex eine vierte Spielstunde ein, in der plötzlich an nahezu allen Brettern sich die Geschehnisse zu unseren Gunsten entwickelten.
Mads Andersen hatte in der Partie gegen seinen routinierten Landsmann GM Carsten Hoi (2380) frühzeitig jegliches taktisches Potential aus der Stellung genommen. Mit Weiß wählte er eine scheinbar harmlose Abtauschvariante gegen die Köigsindische Verteidigung und folgte lange einer wichtigen Partie, die Markus Ragger am entscheidenden Meisterschaftswochenende 2016 gegen den für Hockenheim spielenden Ivan Saric gewonnen hatte. Markus hatte später darüber auch einen Theorie-Artikel im Informator veröffentlicht – doch wie sich herausstellte, hatte Mads diesen nicht gelesen! Dennoch hatte er dank seiner guten Vorbereitung schnell über eine Stunde Zeitvorsprung herausgearbeitet, was später sicherlich auch zu einem entscheidenden Fehler von Hoi in bereits schlechterer Position beitrug.
Der erste Schwarz-Sieg des Tages ging auf das Konto von Predrag Nikolic, der in einem Franzosen gegen IM Thorbjorn Bromann (2396) schrittweise die Initiative übernahm und mit einem taktischen Trick auf der einzig offenen e-Linie entscheidend mit seinen Türmen in die weiße Stellung eindrang. So gewann er einen Bauern, wonach Bromann kurze Zeit später aufgeben musste.
Ein perfektes Debüt zeigte unser einziger Neuzugang Aryan Tari, der mit Schwarz gegen den routinierten schwedischen GM Jonny Hector (2495) anzutreten hatte. In einer ruhigen Variante des Zweispringerspiels erhielt Aryan bequem Ausgleich und nutzte dann im späteren Mittelspiel bei sich anbahnender Zeitnot kleinere Ungenauigkeiten von Hector, um schließlich zwei Bauern zu gewinnen, ohne dass die taktischen Tricks von Hector nachhaltigen Schaden anrichten konnten.
So erzielte Aryan nahezu zeitgleich mit Loek van Wely den Siegtreffer, wobei Loek ein Sonderlob für die beste Solinger Partie des Tages gebührte. Mit den schwarzen Steinen erhielt er in einer aus einer Nimzo-Indisch-Struktur bereits vereinfachten Position nach 20 Zügen ein Remisangebot des traditionell sehr schwer zu schlagenden GM Igor Khenkin (2546). Doch Loek erinnerte sich daran, dass sein früherer Kapitän Herbert Scheidt mit einem so frühzeitigen Friedensschluss nicht einverstanden gewesen wäre und verschwendete keine Gedanken an eine Annahme der Offerte. Prompt gelang ihm eine beeindruckende Musterpartie, in der er Khenkin in einem Doppelturmendspiel mit noch jeweils einem Springer glatt überspielte und auf den Zwischenstand von 5½:½ erhöhte.
Wenn es einmal richtig läuft, werden auch Partien wie die von Sandipan Chanda gewonnen, der mit Schwarz gegen die frühere deutsche Nationalspielerin WGM Marta Michna (2327) einige bange Momente überstehen musste. In einem holländischen Leningrader wollte Sandipan gegen den zurückhaltenden weißen Aufbau unter Bauernopfer die Initiative übernehmen, erlaubte jedoch ein gefährliches weißes Figurenopfer, das Michna zumindest einige Angriffschancen gegen den exponierten schwarzen König und drei Bauern einbrachte. Doch Sandipan verteidigte sich präzise und konnte auf sein Läuferpaar als Trumpf zählen. In hochgradiger Zeitnot fand Michna keinen vielversprechenden Plan und überschritt schließlich in bereits sehr schwieriger Position die Bedenkzeit.
So verblieb nach vier Stunden Spielzeit und dieser Serie von Gewinnpartien binnen einer Stunde nur noch die Partie am Spitzenbrett, an dem sich die Gastgeber allerdings auf wirklich spektakuläre Weise den Ehrentreffer sicherten. Markus Ragger reiste nach exzellenter Olympiade und starkem Europapokal erstmals mit einer Elo von 2701 nach Kiel an und schien auch im Rauserangriff gegen den klassischen Sizilianer von GM Ivan Salgado Lopez (2624) stets die Kontrolle zu haben. So setzte der Spanier alles auf eine Karte und opferte binnen weniger Züge zwei Leichtfiguren und eine Qualität, um die weiße Königsstellung völlig zu öffnen. Mit optimaler weißer Verteidigung wäre der schwarze Angriff abzuwehren gewesen, doch bei knapper Bedenkzeit fand Markus nicht die optimale Aufstellung und musste bei der Flucht seines Monarchen über das ganze Brett letztlich das gesamte Mehrmaterial mit Zinsen zurück geben. Letztlich landete er in einem Endspiel mit Läufer, Springer und Bauer gegen Turm und drei Bauern, das er trotz zäher Verteidigung nicht halten konnte, so dass das 6½:1½ feststand.
Ivan Salgado gebührt ein Kompliment für seine kreative Angriffsführung, die letztlich belohnt wurde, während Markus beim Abendessen wieder für die schwierige Aufgabe am Sonntag gegen den Hamburger SK aufgebaut wurde. Morgen soll im Duell der beiden Bundesliga-Dinos nachgelegt werden.
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