Mit einem 6:2 gegen den Hamburger SK hat unsere I. Mannschaft ein ideales Startwochenende abgerundet und sich zunächst einmal in der Spitzengruppe der Bundesliga festgesetzt. Dabei spiegelt das deutliche Ergebnis nicht einmal annähernd den engen Kampfverlauf wider, bei der bis in die fünfte Spielstunde ein Unentschieden nicht unwahrscheinlich erschien. Am Ende kam der unerwartet klare Sieg durch eine absolut perfekte Chancenverwertung an den hinteren vier Brettern zustande, mit der Mads Andersen, Predrag Nikolic, Alexander Naumann und Sandipan Chanda ihre Wochenend-Bilanz auf 8/8 schraubten!
Die Begegnungen mit dem Hamburger SK sind immer etwas ganz Besonderes, da es sich um die beiden einzigen Vereine handelt, die seit dem Bestehen der Schachbundesliga ununterbrochen dabei sind. Auch wenn wir wie häufig in den letzten Jahren favorisiert in den Kampf gingen, war allen Beteiligten klar, dass es selbst gegen ersatzgeschwächte Hanseaten mit ihren ambitionierten jungen Akteuren sehr schwer werden würde, auch wenn ihnen gleich fünf Spieler aus der ersten Acht fehlten. Schließlich hatte der HSK mit einem etwas glücklichen 4½:3½-Sieg gegen Aufsteiger Düsseldorf am Vortag bereits die Pflicht des Wochenendes erfüllt und konnte nun befreit aufspielen.
Nach drei Stunden gab es die erste Punkteteilung zu verzeichnen. Unser langjähriger Bundesliga-Akteur GM Sipke Ernst (2535) überraschte mit den schwarzen Steinen unseren Neuzugang Aryan Tari mit einer Nebenvariante im offenen Spanier, die Shakhriyar Mamedyarov bei der Olympiade erfolgreich zum Einsatz gebracht hatte. Aryan fand jedenfalls kein Mittel, um die Stellung zu verkomplizieren und sie verflachte bald zu einem völlig ausgeglichenen Damenendspiel mit ungleichfarbigen Läufern, das folgerichtig Remis durch Dauerschach endete.
Wenig später krönte Alexander Naumann sein erstes Wochenende als Teamchef mit seinem zweiten Sieg als »Talentbändiger«. Mit dem 16-jährigen IM Luis Engel (2459) hatte er eine der größten deutschen Nachwuchshoffnungen als Gegner, der zudem auch noch von Alex’ früherem Schüler FM Felix Meissner trainiert wird. Prompt geriet er mit Schwarz in einem Tarrasch-Franzosen unter Druck, bevor Luis eine fehlerhafte taktische Abwicklung wählte und dadurch aus der besseren Position forciert in eine sehr schlechte Stellung geriet und eine Figur geben musste. Den technischen Part im Endspiel mit Läufer, g- und h-Bauer gegen drei Bauern am Königsflügel meisterte Alexander souverän und sorgte für die Führung.
Trotzdem schien bei Beginn der Zeitnotphase noch jedes Ergebnis einschließlich einer knappen Niederlage für uns möglich, zumal es an einigen Brettern höchst unklare und schwer einzuschätzende Partien zu bestaunen gab. Relativ rational verlief dagegen die Partie von Loek van Wely, der mit Weiß gegen GM Robert Kempinski (2574) in einem angenommenen Damengambit keinen Vorteil erreichte und nach vier Stunden in einem Damenendspiel remisierte.
Deutlich spektakulärer ging es am Nebenbrett zu, wo Borki Predojevic sich mit den schwarzen Steinen in einer spanischen Steinitz-Variante gegen IM Jonas Lampert (2547) verteidigte. Es entstand eine extrem komplizierte und zweischneidige Position, in der sich Borki bei beginnender Zeitnot verrechnete und so die Chance auf Vorteil vergab. Vielmehr musste er froh sein, dass es noch einen Notausgang in seiner Variante gab, die ihm zumindest drei Bauern für eine Figur einbrachte, wonach die Partie Remis durch Zugwiederholung endete.
So ging es beim Stande von 2½:1½ in die fünfte Spielstunde. Am Spitzenbrett kämpfte Markus Ragger mit Schwarz gegen GM Rasmus Svane (2600) ums Remis. Nachdem er mit Schwarz in einem Katalanen durch eine Zugumstellung in der Eröffnung überrascht worden und in eine schlechte Stellung geraten war, wickelte er in ein Turmendspiel mit drei gegen drei Bauern am Königsflügel und einen Mehrbauern für Rasmus auf der a-Linie ab. Da Markus im Gegensatz zu den klassischen Beispielen einen vereinzelten e- statt eines f-Bauern besaß, schien dies die weißen Gewinnchancen noch zu erhöhen. Am fünften Brett hatte Mads Andersen mit Schwarz gegen den 3. Lb5-Sizilianer des supersoliden GM Thies Heinemann (2521) die Partie frühzeitig verschärft und inzwischen ein Endspiel mit Mehrqualität erreicht, in der Heinemann aber dank Mehrbauer sowie zentralisierter Figuren keine Verlustgefahr drohte.
Somit lagen unsere Hoffnungen eher auf Predrag Nikolic, der mit Weiß lange Zeit gegen den Isolani von Bundestrainer GM Dorian Rogozenko (2495) keinen Vorteil erreicht hatte, bevor Rogozenko mit einem impulsiven Bauernzug in Zeitnot eine weitere Schwäche schuf, die letztlich zu einem Bauernverlust führte. Aufgrund einer besseren, einer ausgeglichenen und einer schlechteren Position bei diesem knappen Spielstand kam den Ereignissen am 8. Brett besondere Bedeutung zu, wo Sandipan Chanda und IM Jonathan Carlstedt (2418) ohne Zweifel die wildeste und irrationalste Partie des gesamten Wochenendes zelebrierten.
Beim Mannschaftsessen am Samstagabend hatte Sandipan sich aufgrund seiner völlig unklaren Partie gegen Marta Michna noch den ironischen Kommentar seiner Teamkollegen eingefangen, dass er es offensichtlich sehr schätze, mit »kontrollierter Offensive« risikolos auf zwei Ergebnisse spielen zu können. Prompt wählte er heute gegen die Moderne Benoni-Verteidigung von Carlstedt das scharfe Dreibauern-System, und es entstand nach einem Damenopfer von Carlstedt, für das er zwei Leichtfiguren und einen Bauern erhielt, eine völlig irrationale Position, bei der sich auch ihre Teamkollegen gar nicht erst die Mühe machten, tiefer in die Stellung einzudringen, um eine Einschätzung abgeben zu können.
Letztlich schien Carlstedt mit seinen beiden vorgerückten Freibauern und der geschwächten weißen Königsstellung hinreichende Kompensation zu haben, doch als vieles nach einem Remis durch Dauerschach aussah, griff der Hamburger daneben und Sandipan konnte seine beiden verbliebenen Schwerfiguren entscheidend zum Angriff koordinieren und die Partie für sich entscheiden. Parallel hatte auch Predrag die technische Verwertung seines Mehrbauern sauber vorangetrieben und entschied mit einem vollen Zähler nach 72 Zügen den Kampf zu unseren Gunsten.
Noch einige Züge länger musste Markus Ragger kämpfen, bevor Rasmus Svane das nicht gewinnbareTurmendspiel so abwickelte, dass die beiden alleine auf dem Brett verbliebenen Könige keinen Zweifel mehr am Ergebnis ließen. Für Markus bedeutete diese starke und zähe Verteidigungsleistung zumindest ein kleines Trostpflaster für die bittere Niederlage am Vortag.
Zum Abschluss war es fast schon symptomatisch, dass auch noch Thies Heinemann sein Endspiel zum Verlust verdarb und Mads Andersen das Ergebnis sogar noch auf 6:2 schrauben konnte, nachdem er seinen einzigen verbliebenen Bauern zur Umwandlung geführt hatte, bevor die gegnerischen Bauern dieses Ziel erreichten.
Während der HSK damit deutlich unter Wert geschlagen wurde, lief für uns an diesem Wochenende einfach alles zusammen, was sich später auch dadurch bestätigte, dass aus Solingen nicht nur der unerwartete zweite Saisonsieg der Zweiten in der 2. Bundesliga gemeldet wurde, sondern gleich alle sieben Mannschaftskämpfe des Wochenendes siegreich gestaltet werden konnten.
So darf es gerne auch in der Bundesliga weitergehen, wo bereits in zwei Wochen am 24./25.11.2018 in Düsseldorf mit dem SV Mülheim Nord und Werder Bremen zwei schwierige Aufgaben warten.
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