»Der Pokal hat eben auch im Schach seine eigenen Gesetze« war das Fazit eines erleichterten Artur Jussupow, nachdem er nach sieben Stunden Spielzeit und 107 Zügen mit seinem Remis am Spitzenbrett den 2½:1½-Sieg gegen das stark aufspielende Team des ausrichtenden Hamelner SV in der Vorrunde des Deutschen Mannschaftspokals gesichert hatte.
Durch den Finaleinzug im NRW-Pokal der Vorsaison hatten wir uns nach zwei Jahren Pause endlich wieder einmal für den Deutschen Mannschaftspokal qualifiziert. In der Vorrunde mussten wir nach Hameln reisen, dessen Schachverein in diesem Jahr sein 100-jähriges Jubiläum feiert. Die kurz vor Rundenbeginn durchgeführte Auslosung ergab ein Duell zwischen dem Lübecker SV und dem Team des Deutschen Blindenschachbundes, während uns ein »Heimspiel« gegen die Gastgeber zugelost wurde.
Wir waren gegen den Nord-Oberligisten an allen Brettern klar favorisiert, zumal die Gastgeber auch noch auf ihr Spitzenbrett FM Wilfried Bode verzichten mussten, der parallel als Bundestrainer der Blinden-Nationalmannschaft deren Kampf betreute. Doch die Hamelner spielten respektlos auf und wehrten sich nach Kräften, so dass nach vier Stunden noch alle Partien liefen. Allerdings deutete sich nach der Zeitkontrolle bereits das Ende von drei Begegnungen an.
Alexander Naumann war am zweiten Brett gegen den Paulsen-Sizilianer von Kai Renner (2153) mit positionellen Vorteilen aus der Eröffnung gekommen. Doch gegen den sich zäh verteidigenden Schwarzen konnte Alex den Raumvorteil nicht verdichten, sondern landete in einem Doppelturmendspiel mit jeweils vier Bauern, in dem ihm nur seine deutlich aktiveren Türme noch Gewinnaussichten bescherten. Die hohe Remistendenz in Turmendspielen ist hinlänglich bekannt, doch Alex konnte mit guter Technik unter Abtausch eines Turmes einen Bauern gewinnen und erzielte später die SG-Führung.
Ein ähnliches Szenario spielte sich am dritten Brett ab, wo Jörg Wegerle mit den weißen Steinen auf Lutz van Son (2144) traf. Jörg erhielt aus einer slawischen Verteidigung das Läuferpaar gegen zwei Springer, doch die kompakte schwarze Struktur war sehr schwer zu knacken. Bei knapper werdender Bedenkzeit verpasste van Son allerdings die Chance auf etwas Gegenspiel, so dass Jörg die Stellung vorteilhaft öffnen und seine Schwerfiguren in Kooperation mit seinem Läufer entscheidend einsetzen konnte, so dass es wenig später 2:0 stand.
Fast postwendend erzielten die Hamelner allerdings den Anschlusstreffer. Oliver Kniest verpasste mit Schwarz in einem Nimzo-Inder gegen Yannick Koch (2107) die Chance auf Ausgleich, sondern misshandelte mit einem verfehlten Plan das Mittelspiel, wodurch sein Gegner einen gefährlichen Freibauern am Damenflügel bilden konnte. Koch ließ sich diese Chancen nicht entgehen, wickelte unter Umgehung jeglicher Verwicklungen in ein Schwerfigurenendspiel mit Mehrbauern ab und führte dieses souverän zum Sieg.
Somit hing alles von der Partie am Spitzenbrett ab, wo FM Matthias Tonndorf (2181) mit Weiß auf Artur Jussupow traf. Aus einer französischen Vorstoßvariante entstand eine völlig geschlossene Position, in der nach 40 Zügen noch alle 16 Bauern auf dem Brett waren und lediglich ein Leichtfigurenpaar getauscht worden war. Daran änderte sich bis zum 61. Zug nichts, bevor sich Artur zu einem positionellen Qualitätsopfer entschloss. Dies zahlte sich allerdings nicht wie gewünscht aus, sondern verschaffte Tonndorf zumindest theoretische Gewinnchancen, nachdem er unter Bauernopfer die h-Linie öffnen und diese mit seinen Türmen besetzen konnte. Doch Artur evakuierte seinen König zum Damenflügel und offerierte nach 107 Zügen bei weiterhin völlig geschlossener Position die Punkteteilung. Dieses wurde mangels Einbruchsfeldern auf der einzig offenen h-Linie akzeptiert, so dass nach sieben Stunden Spielzeit das Blitzstechen vermieden und der 2½:1½-Sieg gesichert war.
Am morgigen Sonntag treffen wir mit dem Lübecker SV auf den nächsten Nord-Oberligisten, der heute gegen die Auswahl des Deutschen Blindenschachbundes mit 3½:½ siegreich blieb.