»Unfassbar« war das meist gebrauchte Wort, das nicht nur von Mannschaftsführer Rafael Müdder, sondern auch nahezu allen Teammitgliedern am frühen Abend des 30.12.2020 in unserer WhatsApp-Gruppe geschrieben wurde. Denn nur etwas über zwei Stunden nach ihrem Sieg im U20w-Turnier hatten sich Luisa Bashylina, Melanie Müdder und Yaroslava Sereda wieder auf dem Chessbase-Server eingeloggt. Angeführt von einem stark aufspielenden Alexander Krastev am Spitzenbrett, der ein tolles Debüt im SG-Trikot gab, knüpfte das Quartett nahtlos an die immense Spiellaune vom Vormittag an und holte sich als die Nummer 11 der Setzliste mit fünf Siegen und zwei Unentschieden völlig unerwartet auch den Sieg in der U20-Königsklasse beim Online-Weihnachtsturnier der Deutschen Schachjugend.
Zuletzt hatten wir im Jahre 2015 die Qualifikation für die Deutsche Vereinsmeisterschaft U20 geschafft und dort einen tollen dritten Platz belegt. Da wir aktuell nicht einmal in der Jugend-Bundesliga spielen und die nächste Teilnahme daher noch etwas dauern wird, nahmen wir gerne die Möglichkeit des offenen Online-Weihnachtsturniers wahr, das die Deutsche Schachjugend als Ersatz für die ausgefallene Deutsche Vereinsmeisterschaft anbot. 44 Mannschaften hatten wie in den anderen Altersklassen auch 7 Runden mit einer Bedenkzeit von 10 Minuten/Partie + 2 Sekunden/Zug zu absolvieren. Der Hunger nach schachlicher Betätigung war sehr groß, denn auch qualititativ war das Turnier exzellent besetzt: Der topgesetzte Hamburger SK spielte mit dem amtierenden Deutschen Meister, GM Luis Engel (2553) am Spitzenbrett. Dahinter folgten mit Werder Bremen, SG Aufbau Elbe Magdeburg, OSG Baden-Baden und der SG Porz vier weitere für ihre exzellente Nachwuchsarbeit bekannte Vereine, die alle ein Quartett mit einem Wertungsschnitt über 2200 ins Rennen schickten.
Als Nummer 11 der Setzliste starteten wir mit einem 3½:½ gegen die Barnimer Schachfreunde im SV Stahl Finow, gaben dann aber direkt ein 2:2 gegen den Lübecker SV ab. Insbesondere unser Debütant Alex Krastev hatte am Spitzenbrett gewisse Startschwierigkeiten und holte in diesen beiden Partien nur einen halben Zähler. Doch sein aus einer Variantenverwechslung resultierender Figureneinsteller in Runde 2 war die ideale Motivation für die kommenden Runden.
Gegen das Team des Blauen Springer Paderborn gelang ihm sein erster Sieg, was dank eines weiteren Erfolgs von Luisa Bashylina und einem Remis von Melanie Müdder zum 2½:1½ reichte. Es folgte ein souveräner 3½:½-Erfolg gegen die Berliner Mannschaft von SC Weiße Dame. Dabei erzielte Luisa ihren vierten Sieg im Turnier und hatte damit einen Tagesscore von 11/11! Mit 7:1 Zählern lagen wir plötzlich auf dem geteilten zweiten Platz hinter Tabellenführer SG Porz (8:0).
Dafür wartete in der fünften Runde mit dem SV Werder Bremen der erste Hochkaräter, der an allen Brettern besser besetzt war. Doch Yaroslava Sereda sorgte mit einem starken Schwarz-Sieg gegen Finn Helms (1959) für die Führung. Luisa gab gegen den Bundesliga-erfahrenen Nikolas Wachinger (2369) ihr erstes Remis des Tages ab, bevor Alex am Spitzenbrett Jari Reuker (2430) bezwingen konnte. Das Remis von Melanie gegen FM Colin Colbow (2257) machte den 3:1-Überraschungssieg perfekt.
Damit waren wir alleiniger Zweiter und es stand das stets spannende Prestigeduell gegen den makellosen Tabellenführer SG Porz auf dem Programm. Nun hatte Alexander Krastev seine Topform erreicht und brachte dem bis dahin mit 5/5 exzellent aufspielenden FM Alexander Suvorov (2353) dessen erste Niederlage bei. Wenig später konnte Luisa gegen FM Luca Suvorov (2279) auf 2:0 erhöhen, bevor Melanie mit einem Sieg gegen Jonas Gallasch (2125) den Mannschaftssieg perfekt machte, so dass die unglückliche Niederlage von Yaroslava gegen FM Samuel Fieberg (2180) zu verkraften war. Damit lagen wir vor der Schlussrunde plötzlich mit 11:1 Zählern an der Tabellenspitze vor den Teams des Karlsruher SF und der SG Porz (jeweils 10:2).
Es kam somit zu einem echten » Endspiel« um den Turniersieg gegen die Karlsruher, wobei uns aufgrund des Brettpunktvorsprungs gegenüber den Porzern vermutlich ein 2:2 zum Turniersieg reichen würde. Leider geriet Yaroslava gegen Xinyuan Wang (1849) in die Defensive und musste sich geschlagen geben. Es folgte ein Remis von Luisa gegen Lukas Koll (2121), so dass nun noch 1½ Zähler aus den verbleibenden Partien benötigt wurden. Alexander behielt mit Schwarz gegen Stefan Joeres (2201) die Nerven und setzte sich in einem technisch komplexen Endspiel durch. Damit schraubte er seine starke Bilanz mit fünf Siegen in Folge auf 5½/7.
Das entscheidende Remis holte dann in einem Endspiel mit Dame gegen zwei Türme, in der beide Seiten häufig vom 2-Sekunden-Inkrement lebten, Melanie gegen Linus Koll (2035). Damit war das 2:2 und der sensationelle Turniersieg mit 12:2 Zählern vor der punktgleichen SG Porz perfekt! Ein besonderes Kompliment geht dabei an Luisa Bashylina (6), Melanie Müdder (5) und Yaroslava Sereda (3), die gleich zwei Turniersiege an einem Tag feiern dürfen. Dabei verlor Melanie in 14 Runden keine einzige Partie und Luisa holte sogar sensationelle 13/14. Als Belohnung gab es für das gesamte Team unter anderem die Teilnahme am Online-Simultan von GM Andreas Heimann.
Zum Abschluss dieses Jahres möchten wir vor allem der Deutschen Schachjugend ein großes Kompliment aussprechen, die in ihrem Jubiläumsjahr von Corona hart gebeutelt wurde, aber dennoch die Deutsche Ländermeisterschaft in Berlin und die Deutschen Einzelmeisterschaften vorbildlich organisierte und zum Jahresabschluss die schönen Online-Weihnachtsturniere als kleiner DVM-Ersatz anbot. Dafür ganz herzlichen Dank! Hoffentlich können die »richtigen« Vereinsmeisterschaften im neuen Jahr nachgeholt werden und wir sehen uns alle in 2021 mit weniger Schwierigkeiten an den Brettern wieder.