Bei der 49. Auflage der Dortmunder Schachtage, die vom 16.–24.07.2022 unter dem neuen Namen »Sparkassen Chess Trophy« ausgetragen wurden, konnte Max Warmerdam einen weiteren Turniersieg auf die bereits beachtliche Erfolgsliste seiner noch jungen Karriere hinzufügen. Der 22jährige Niederländer konnte nach einem famosen Start mit 7/7 dank zweier Remisen zum Abschluss mit 8/9 den alleinigen, mit 2000 Euro dotierten Turniersieg im A-Open feiern. Auch die fünf anderen teilnehmenden SG-Akteure konnten weitestgehend ein zufriedenes Turnierfazit ziehen.
Im Jahre 2019 beschlossen die Organisatoren des traditionsreichsten Deutschen Schachfestivals, das Programm ein wenig zu verändern. Die beiden Open-Turniere sollten wieder attraktiver gestaltet werden und Normchancen eröffnen. Zudem sollte der klassische Festivalcharakter mit mehreren Rundenturnieren wiederhergestellt werden. Im Deutschland-Grand-Prix sollten sich die Nationalspieler mit starken Großmeistern der erweiterten Weltklasse messen, während im Sportland NRW Cup zwei Rundenturniere für junge Spielerinnen und Spieler Chancen auf IM- und WGM-Normen schaffen wollten. Doch die Umsetzung wurde durch Corona verzögert. Im Jahre 2020 musste das Festival komplett ausfallen und im Vorjahr konnten zumindest die Rundenturniere durchgeführt werden, wo Melanie Müdder der Turniersieg beim Sportland NRW Mädchen Cup gelang.
Schließlich war es dann dieses Jahr soweit, dass insgesamt über 500 Spielerinnen und Spieler in den traditionsreichen Westfallenhallen begrüßt werden konnten. Das A-Open war mit 185 Teilnehmern, darunter 7 GM und 7 IM sehr ordentlich besetzt und verzeichnete unter den ersten vier Spielern der Setzliste mit Erwin L’Ami, Max Warmerdam und Dr. Florian Handke gleich 3 SG-Akteure auf.
Doch für Erwin, der in der gerade erst beendeten Bundesliga-Saison ein exzellentes Resultat erzielt hatte, sollte die Turnierwoche einen sehr unerwarteten Verlauf nehmen. In der zweiten Runde unterlag er dem Lippstädter NRW-Liga-Spieler Alexej Wagner (2241), nachdem er sich zu einem Figurenopfer hatte hinreißen lassen, aber eine taktische Verteidigungsriposte gegen seinen vermeintlich entscheidenden Königsangriff übersehen hatte.
Am nächsten Tag startete L’Ami allerdings mitnichten eine Aufholjagd, sondern fand sich stattdessen auf der Bühne als Teilnehmer des Deutschland Cup wieder! Ausgerechnet Vladimir Kramnik, der als 10-facher Sieger des Dortmunder Turniers auch in diesem Jahr wieder zusammen mit Vishy Anand als Hauptattraktion dienen sollte, aber nach seinem Rücktritt vom klassischen Schach weiter seine bevorzugte »No Castling«-Schach-Variante ohne Rochade propagieren wollte, musste wegen einer Corona-Infektion absagen. So wurde der in der ersten Runde im Deutschland Cup spielfreie Dmitry Kollars als Ersatz in das No Castling Masters mit Anand, Michael Adams und Daniel Fridman beordert.
Erwin erklärte sich bereit, kurzfristig den Platz von Kollars im Deutschland Cup einzunehmen, was für seine exzellente sportliche Einstellung spricht. Schließlich besaß er die geringste Elozahl im Teilnehmerfeld und hatte logischer Weise auch keine Vorbereitung auf dieses Turnier treffen konnte. Doch nach einer Auftaktniederlage gegen den späteren Turniersieger Pawel Eljanov (2681), der einen zu optimistischen Versuch von Erwin mit sehr präzisem Spiel auskonterte, konnte sich der 37jährige Niederländer stabilisieren erreichte nach 5 soliden Remisen gegen Bogdan-Daniel Deac (2692), Luke McShane (2649), Matthias Blübaum (2673), David Navara (2688) und Rasmus Svane (2649) einen ordentlichen geteilten 4. Platz mit 2½/6 erreichen.
Tabelle Deutschland Grand Prix
Parallel zeigte sich Max Warmerdam als »neuer« Topgesetzter im Open in glänzender Spiellaune. In der 4. Runde kam auch das notwendige Quäntchen Turnierglück hinzu, als er gegen IM Gerlef Meins (2415) ein remises Turmendspiel solange knetete, bis der routinierte Bremer in der Endphase bei knapper Zeit doch noch den entscheidenden Fehler beging. Es folgten zwei stark herausgespielte Siege gegen IM Adrian Gschnitzer (2433) und GM Tornike Sanikidze (2420), so dass Max nach 6 Runden mit dem Punktemaximum das Feld alleine anführte.
In dieser Situation traf er mit den schwarzen Steinen auf seinen guten Freund IM Thomas Beerdsen (2500), den er seit vielen Jahren von gemeinsamen Jugendmeisterschaften kennt und mit dem er in Dortmund typischerweise essen ging. Da der für Mülheim spielende Beerdsen zudem auf GM-Norm-Kurs lag, wäre ein schnelles Remis logisch gewesen, doch Max lehnte eine frühe Offerte ab und ihm gelang ein spektakulärer Schwarzsieg, den er im Video mit Pressesprecher IM Patrick Zelbel demonstrierte:
Dank des fantastischen Zwischenresultats von 7/7 besaß er einen vollen Zähler Vorsprung und sicherte diesen mit einem kurzen Remis gegen GM Andreas Heimann (2582) ab. In der Schlussrunde bot er in nach einem Qualitätsopfer gegen den britischen Überraschungsspieler FM Shreyas Royal (2353) schnell Remis an, bevor die Lage zu unklar wurde, und sicherte sich so mit 8/9 den verdienten Turniersieg.
Nicht ganz so gut lief es für Dr. Florian Handke, der gewohnt kämpferisch und unternehmungslustig agierte, aber nach zwei Schwarzremisen gegen ambitionierte junge FM in den Runden 3 und 5 in der sechsten Partie vom stark aufspielenden IM Thomas Beerdsen (2500) bezwungen wurde. Somit mussten drei Zähler in den ausstehenden Schlussrunden her, um noch einen ordentlichen Preis zu erreichen. Doch in der Schlussrunde hatte Florian etwas Lospech und wurde mit Schwarz gegen GM Sanikidze hochgelost. In dieser Kampfpartie um den vollen Zähler hatte er am Ende das schlechtere Ende für sich und musste mit 6/9 auf einen für ihn enttäuschenden 17. Platz zufrieden sein, während sich Sanikidze mit 7½ Zählern den alleinigen zweiten Platz sicherte.
Ebenfalls auf 6 Zähler kam Thomas Michalczak, der die letzte Ausgabe des Open im Jahre 2019 hatte sensationell gewinnen können. Diesmal startete er als Nummer 40 der Setzliste mit einer Niederlage, konnte danach jedoch an seine hervorragende Form aus der abgelaufenen NRW-Liga anknüpfen und erzielte vier Siege in Serie, bevor er gegen IM Adrian Gschnitzer (2433) eine technische Gewinnstellung noch zum Remis verdarb. Doch nach einem soliden letzten Turnierdrittel konnte Tom nicht nur auf einem guten 23. Platz abschließen, sondern sich auch noch über eine leichte Elo- und DWZ-Gewinne freuen.
Auch zufrieden war Ewald Fichtner, der mit 4/9 auf Rang 114 nahezu entsprechende seiner Setzlistenplatzierung ins Ziel kam. Nach einem etwas schwächeren Start mit 1/4 kämpfte er sich gut ins Mittelfeld zurück, auch wenn er etwas Pech hatte, gegen alle stärkeren Akteure mit Schwarz antreten zu müssen. Dennoch blieb er im Rahmen seiner Elo- und DWZ-Erwartung.
Im B-Open, das immer vormittags vor den Runden des A-Open ausgetragen wurden, waren sogar 235 Teilnehmer am Start, die maximal eine Wertungszahl von 1900 haben durften. Mit dabei war als Nummer 17 der Setzliste auch Yaroslava Sereda, die sich nach einer frühen Niederlage in Runde 2 mit drei Siegen in Folge wieder nach vorne kämpfte und mit 4½/6 gut im Rennen für einen Damen- oder Ratingpreis lag.
Allerdings musste sie das Turnier nach dieser Runde abbrechen, weil sie sich am nächsten Morgen auf den Weg nach Kiel zur Deutschen Vereinsmeisterschaft U20w machte.
Im kommenden Jahr steht die 50. Jubiläumsauflage der Dortmunder Schachtage an, die dann vom 24.06.–02.07.2023 stattfinden soll.