Am 15.10.2022 um 14.00 Uhr war es soweit: mit der Freigabe der Partien im Gründer- und Technologiezentrum durch Schiedsrichter Jürgen Göldenboog startete unser Frauen-Team in seine erste Bundesligasaison. Dabei bekamen wir direkt bei der Premiere die gewaltigen Unterschiede zwischen der 1. und 2. Bundesliga zu spüren und trafen auf den letztjährigen Vizemeister und Meisterschaftsanwärter SK Schwäbisch Hall. Nach einer insgesamt guten Mannschaftsleistung gegen den haushohen Favoriten sorgten Anna Zozulia und Annmarie Mütsch schließlich für die ersten Solinger Remisen in der Frauen-Bundesliga-Geschichte und den Endstand von 1:5.
Unsere Damenmannschaft startete erstmals in der Saison 2017/18 in der Frauen-Regionalliga und setzte sich dabei nahezu ausschließlich aus unseren jungen Talenten zusammen, die in den Jahren 2016 und 2017 zweimal den Deutschen Meistertitel in der Altersklasse U14w errungen hatte. Nach einem vierten Platz und Rang 2 im folgenden Jahr gelang in der »Corona-Saison« 2019/21 der Aufstieg in die 2. Frauen-Bundesliga, dem nach einer famosen Saison 2021/22 der direkte Durchmarsch in die Frauen-Bundesliga folgte.
Für die erste Spielzeit einer Solinger Frauenmannschaft in der Bundesliga waren natürlich einige Verstärkungen im Kader notwendig, so dass wir uns sehr über IM Inna Gaponenko, WIM Annmarie Mütsch, IM Tatiana Kononenko und IM Anna Zozulia als neue Teammitglieder freuen. Dennoch hatte Teamchef Rafael Müdder bei der Saisonvorschau des Deutschen Schachbundes bereits angekündigt, dass wir aber weiterhin an unserer Philosophie festhalten und auf unseren Trumpf, die gute Jugendarbeit, setzen wollen, um unseren Talenten regelmäßige Spielpraxis gegen die starken Gegnerinnen in der Bundesliga zu ermöglichen.
So standen mit Yaroslava Sereda (15) und Sarah Fetahovic (14) auch zwei unserer amtierenden Deutschen Schulschachmeisterinnen in der Mannschaft gegen den SK Schwäbisch Hall, der in den letzten 7 Bundesliga-Spielzeiten 6 deutsche Vizemeistertitel erreichte und in dieser Saison endlich wieder einen Meistertitel wie 2017 anstrebt. Auch wenn sie erwartungsgemäß nur einige ihrer Topspielerinnen in die Klingenstadt mitgebracht hatten, waren sie selbstverständlich deutlich favorisiert.
Doch unser Team zeigte bei der Premiere keine zu große Nervosität, sondern lieferte einen tollen Kampf. Nach etwa drei Stunden durften wir uns dann auch über den ersten Teilerfolg freuen: Anna Zozulia agierte mit Weiß gegen den beschleunigten Drachen von IM Deimante Daulyte-Cornette (2376) extrem solide, so dass ihre inzwischen für Frankreich spielende Gegnerin zwar den Vorstoß d5 im Ausgleichssinne schnell durchsetzen konnte, es im Anschluss aber zu diversen Figurenabtäuschen und einer völlig ausgeglichenen Stellung kam.
Größere Probleme mussten wir unseren Schwarz-Brettern bewältigen. Dabei kam es am vierten Brett zu einem Duell unter ungleichen Voraussetzungen. Für Tatiana Kononenko war es tatsächlich ihr Comeback am Schachbrett, nachdem sie ihre letzte Turnierpartie 2015 gespielt hatte. Dagegen kam ihre Gegnerin IM Nataliya Buksa (2407) mit der Empfehlung der Goldmedaille nach Solingen, die sie zusammen mit der ukrainischen Nationalmannschaft im August bei der Schach-Olympiade in Indien errungen hatte. Buksa konnte in der Vorstoß-Variante der französischen Verteidigung schrittweise positionelle Vorteile ansammeln, zumal Tatiana nicht zur kurzen Rochade gekommen war und an der Inaktivität des vom König auf g8 eingesperrten schwarzen Turm auf h8 litt. Schließlich gewann Buksa mit einer kleinen Taktik entscheidendes Material und sorgte kurz vor der Zeitkontrolle für die Haller Führung.
Yaroslava Sereda hatte in der Vorwoche beim Münsterland-Open das bisher beste Turnier ihrer noch jungen Schachlaufbahn abgeliefert und zeigte mit den schwarzen Steinen gegen WIM Adela Velikic (2310) eine gute Leistung, auch wenn ihr die Mittelspielbehandlung in einer komplexen Struktur mit weißen hängenden Bauern wieder einmal viel Bedenkzeit gekostet hatte. Dies rächte sich später, als sie in Zeitnot den typischen Sprengungszug d5 zuließ, was zu einer Zerstörung ihrer Struktur am Königsflügel führte. Nach einer weiteren Ungenauigkeit war die Position dann nicht mehr zu verteidigen.
Ganz bitter war der Partieverlauf am Spitzenbrett, wo Inna Gaponenko gegen die langjährige georgische Nationalspielerin GM Nino Batsiashvilli (2477) mit einer sehr soliden Verteidigungsleistung im angenommenen Damengambit ein völlig ausgeglichenes Schwerfigurenendspiel erreicht hatte, bevor ihr in der Zeitnotphase ein kapitaler Blackout unterlief und sie einzügig einen Turm einstellte. Inna war nach ihrem Patzer verständlicherweise untröstlich, da ihr ein derartiger Einsteller seit Jahrzehnten nicht mehr unterlaufen war. Aber beim abendlichen Mannschaftsessen hatten wir sie zum Glück wieder soweit aufgerichtet, dass sie beim wichtigen morgigen Duell gegen Bayern München bestimmt eine entsprechende Reaktion zeigen wird.
Vor einer Herkules-Aufgabe stand unser Küken Sarah Fetahovic in ihrer Partie, da sie gegen WGM Jovana Eric (2258) eine Differenz von fast 1000 (!) Elopunkten kompensieren musste. In der Eröffnung kam ihr frühzeitig das Läuferpaar abhanden, doch in der Folge kreierte sie mit zentral platzierten Springern eine gute Auffangsstellung und verlangte der Serbin eine saubere technische Leistung ab, um tatsächlich einen vollen Zähler zu erzielen, was ihr dann nach über vier Stunden auch gelang.
Sarah war dennoch über ihre Bundesligapremiere glücklich und berichtete darüber begeistert im anschließenden Video-Interview mit Rafael. Auf diesem Wege sei daher ein besonderes Dankeschön an Guido Giotta ausgerichtet, der einige sehr professionelle Videos mit Interviews während des ersten Wochenendes produzierte und damit einige der Spielerinnen einer breiteren Öffentlichkeit vorstellte.
Parallel zeigte Annmarie Mütsch in der letzten Partie des Tages eine tolle Verteidigungsleistung gegen IM Meri Arabidze (2422). Sie war aus einem Trompowsky mit Weiß in eine unangenehme Position geraten und suchte daher ihr Heil in einem Bauernopfer, um Gegenchancen zu kreieren. Dies gelang ihr wunschgemäß, denn in einem Turm- und Springerendspiel musste die Georgierin stetig abwägen, ob sie einen weißen Freibauern am Damenflügel am Leben lassen und auf ihre Mehrbauern am Königsflügel setzen wollte. Sie entschied sich letztlich dagegen und Annmarie konnte in ein Endspiel mit Turm gegen Turm und Springer abwickeln, das sie problemlos verteidigte, so dass ihr nach 87 Zügen und knapp fünf Stunden Spielzeit der zweite halbe Zähler zum Endstand von 1:5 gelang.
Das gleiche Ergebnis gab es überraschend im Parallelkampf, wo Bayern München unseren ersatzgeschwächten Reisepartner vom SV Hemer sehr deutlich bezwingen konnte. Auch von den anderen Spielorten wurden sehr unerwartete Ergebnisse vermeldet. So konnten unsere Mitkonkurrenten im Abstiegskampf vom SV Weißblau Allianz Leipzig und SV Medizin Erfurt jeweils ein 3:3 gegen Titelverteidiger SC Bad Königshofen und die Rodewischer Schachmiezen erzielen.
Somit haben alle Konkurrenten um den Klassenerhalt gepunktet und es wird am morgigen Sonntag immens wichtig sein, das direkte Duell gegen Bayern München erfolgreich zu gestalten.
Vorbericht Deutscher Schachbund
Einzelergebnisse 1. Runde
Mannschaftsseite SG-Frauen
Interview Anna Zozulia