In jeder Mannschaftssportart kennt man die besonderen Spieler, die dafür sorgen, dass die Teamleistung letztlich besser als die Summe der individuellen Qualitäten der Einzelnen ist. Sofern man eine solche »Seele der Mannschaft« auch in einem noch individueller geprägten Schach-Team wie unserer Bundesligamannschaft suchen würde, dann fällt diese Rolle zweifellos Predrag Nikolic zu.
Der inzwischen 62jährige Bosnier spielt bereits seit 1998 für unseren Verein und gehört damit zu den dienstältesten Akteuren im Bundesligakader. Seine schachliche Qualifikation ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben, da er über den Zeitraum von 25 Jahren kontinuierlich zu den Top 50 der Weltrangliste gehörte. Neben diversen Siegen bei hochrangigen Turnieren wie z.B. 1989 in Wijk aan Zee verpasste er vielfach nur knapp ganz große Erfolge auch bei offiziellen Meisterschaften.
So qualifizierte er sich 1990 erstmals für die Kandidatenwettkämpfe um die Weltmeisterschaft, unterlag im Viertelfinale aber im Schnellschach-Tiebreak nach einem 4:4 gegen die damalige Nummer 4 der Welt, Boris Gelfand. 2004 wurde er geteilter Europameister, unterlag dann aber erneut im Schnellschach-Stichkampf gegen Vasily Ivanchuk. Seine schachliche Klasse lässt sich vielleicht am besten dadurch verdeutlichen, dass er sowohl gegen Anatoli Karpov als auch Viktor Kortschnoi bei jeweils mehr als 20 gespielten Partien ein leicht positives Score besitzt.
Umso schöner war es, dass er bei der Seniorenweltmeisterschaft 2015 im italienischen Acqui Terme dann auch endlich einen großen Einzeltitel gewinnen konnte. Nur ein Jahr später durfte er mit unserem Team den sensationellen deutschen Mannschaftsmeistertitel feiern, nachdem er bereits 2002 im Erfolgsteam gestanden hatte, das bei der Ausrichtung hier in Solingen deutscher Blitz-Mannschaftsmeister geworden war.
Wie aber bereits angesprochen ist seine Bedeutung als absolute Integrationsfigur der Mannschaft noch viel höher einzuschätzen. Als Teamchef Herbert Scheidt vor ca. 15 Jahren mit einer Verjüngung der Mannschaft begann und diverse niederländische Talente wie Daniel Stellwagen, Jan Werle, Jan Smeets, Sipke Ernst und später Erwin L’ Ami in den Kader einbaute, übernahm es Predrag – der in den 90er Jahren nach dem Ausbruch des Krieges in seiner bosnischen Heimat seinen Wohnsitz in die Niederlande verlegt hatte – die entsprechenden Spieler an ihren Wohnorten einzusammeln, mit dem Auto zur Bundesliga zu bringen und am Sonntag Abend wieder zuhause abzuliefern.
Nicht selten steuerte er dazwischen noch selbst zwei Siege bei, was ihm bei einer Elozahl von über 2600 in Solingen den Ehrentitel als »stärkster Schach-Chauffeur der Welt« einbrachte. Schachlich gehörte Predrag niemals zu den großen Theoretikern, sondern bestach stets durch sein exzellentes Positionsverständnis verbunden mit herausragender Endspieltechnik, was dazu führte, dass Herbert Scheidt häufig in seiner internen Hochrechnung während eines Kampfes bereits einen vollen Zähler in Predrag’ s Partie verbuchte, auch wenn dieser ein völlig ausgeglichenes Endspiel auf dem Brett hatte! Nicht selten wurde diese Einschätzung aber zwei Stunden später von unserem Routinier auch bestätigt…
In unserer Partie von Türchen Nr. 18 zeigt sich der Bosnier aber von seiner kombinatorischen Seite. Bei der FIDE-WM 2001, die in Moskau im KO-System ausgetragen wurde, initiierte Predrag gegen den Armenier Ashot Anastasian einen starken Königsangriff, den er mit dem spektakulären 31. Sd5 krönte, wonach entscheidende Materialverluste für Schwarz unvermeidbar waren.